U20-WM: Innenansichten aus Bydgoszcz - Dienstag

Logo U20-WM in BydgoszczDas Wetter im Nordwesten von Polen hat wieder Trostpreischarakter. Das gilt aber nur für Touristen. Für die Leichtathletik ist es ideal. Am Morgen keine Sonne, wenig Wind, Temperatur 18 Grad über dem Gefrierpunkt.

In unserem Hotel herrscht schon früh am Morgen Betrieb. Wir sind mit den Mannschaften aus Belgien und der Schweiz einquartiert. Aus Belgien sind 12 und aus der Schweiz 10 AthletInnen da. Gestern ist auch Sarah Lagger bei uns eingetroffen. Nach der Silbermedaille bei der U18-EM im Siebenkampf probiert sie jetzt eine Woche danach, bei der Weltmeisterschaft und der nächsthöheren Spielklasse (U20) zu punkten.

Der erste Bewerb für uns wird der Vorlauf von Lena Millonig über die 3.000m Hindernis sein. Zwei davon gibt es. Die Aufstiegsregel ist mit 5 -5 -5 festgeschrieben. Die ersten fünf Läuferinnen aus beiden Vorläufen und dazu die fünf Zeitschnellsten kommen in den Finallauf. Lena wird von Didi Millonig betreut. Was Franz Klammer für den Schisport war, war Dietmar in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts für die Leichtathletik. Jahrelang war er Österreichs Aushängeschild über die Mittel- und Langstrecke. Europameister war er sowieso. Ich teile mit ihm das Zimmer, was sehr lehrreich ist.

Lena Millonig im 3000m Hindernis-Vorlauf„Wenn alles gut läuft, könnte sich für Lena der Einzug ins Finale ausgehen“, prognostiziert Dietmar. Lenas U20-Rekord, der zugleich der U23-Rekord ist, steht bei 10:26min. Er stammt vom Mai dieses Jahres.

„Mir ist das Warten auf den Wettkampf nicht angenehm. Ich bin schon am Tag vorher recht angespannt. Erst der Startschuss befreit mich“, verrät mir Lena. Ehrgeiz ist ihr zweiter Vorname.

Als ich das Stadion betrete, brodelt es bereits auf der Laufbahn. Auf meinem Monitor sehe ich vorerst nichts, das aber live. Bald geht es los und die Zehnkämpfer absolvieren ihre 100m-Läufe. Dann wird es spannend, denn der erste Vorlauf über die Hindernisstrecke wird angeschossen. Ein buntes Feld in Schwarz und Weiß. Die ersten vier teilen sich demokratisch vereint den Einzug ins Finale. Für die Siegerin aus Kenia ist bereits nach 9:54min. Badeschluss. Eine kanadische Läuferin verknackst sich den Fuß und humpelt als Letzte auf einem Bein durchs Ziel. Sie bekommt viel Applaus.

Dann vergisst der Juli, dass Sommer ist. Exakt beim Start von Lenas Vorlauf beginnt es in Strömen zu regnen. Ich suche im Internet die Bauanleitung für den Bau einer Arche. Das darf doch nicht wahr sein! Meine Stimmung ist auch ohne Regen schon adrenalingetränkt.

Der zweite Vorlauf ist nichts für gemütliche Flachhobler. Es geht gleich von Beginn an hurtig zur Sache. Schon nach einer Runde zieht sich das Feld in die Länge. Lena reiht sich im hinteren Drittel der Karawane ein. Die ersten 1.000m geht sie in 3:22min. durch. Bald beweist die spätere Siegerin des Laufes, dass sie wenig Bindungsfähigkeit zu den anderen Läuferinnen hat. Sie eilt allen davon und finisht in 9:55min.

Lena ist gut in Schwung, nimmt aber nur wenige Hindernisse technisch sauber. Oft kommt sie vor den Hindernissen aus dem Tritt. Als noch zwei Runden angesagt sind, überholt sie und hat vier Läuferinnen hinter sich. Die bleiben nicht ganz widerstandslos, werden aber bis zum Schluss auf Distanz gehalten. Nach 10:31min. ist Lena im Ziel. Damit wird sie 12te in ihrem Lauf und 22ste insgesamt. Eine reaktive Depression löst das bei mir nicht aus. Lena hat ihr Bestes gegeben.
Dietmar ist mit dem Lauf seiner Tochter nicht zufrieden.

„Das war kein guter Lauf von Lena. Sie ist eigentlich nie ins Rennen gekommen und war auch technisch unter ihrem Niveau. Ich bin sicher, dass sie mehr drauf hat und schneller laufen kann“, analysiert er und will nichts vom Regen oder dem ungünstigen Vormittag hören. Ausreden sind ihm zuwider.

Rene van Zee und Herbert Winkler„Enttäuschungen gehören beim Sport dazu. Daraus kann man für die Zukunft lernen“, schließt er am Ende sein Resümee.
Lena selbst ist von ihrer Leistung enttäuscht und will jetzt ihre Ruhe haben. Ich werde statt ihr einen Baum umarmen. Als alternder Mensch weiß ich, dass keine Substanz so schnell verdunstet wie die Enttäuschungen des Augenblicks.

Bild: Rene van Zee (li.) versorgt uns diese Woche mit Statements aus der Mixed Zone. Herbert Winkler (re.) ist der Autor der täglichen Innenansichten.

Morgen gilt unsere ganze Konzentration dem Quali-Springen für den Dreisprung. Philipp Kronsteiner ist schon heute guter Dinge und wolkenlos gestimmt. Er hat im Juni den rotweißroten U20-Rekord auf 15,93m verbessert und will endlich die 16-m-Marke überspringen. Ich werde jedenfalls wieder mit naturvergorenem Optimismus zusehen. Jetzt werde ich unseren Doktor ersuchen, mir ein belebendes Getränk zu verschreiben. Der Austrocknungsprozess nach dem Anfeuern ist nämlich weit fortgeschritten.

Fotos: Jean-Pierre Durand / Sonja Spendelhofer

 

ÖLV | 19.07.2016 (Herbert Winkler)

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