U23-EM: Innenansichten aus Tallinn – Freitag

Das Wetter in der estnischen Kapitale hat wieder Trostpreischarakter. Am Morgen hat es 14 Grad über dem Gefrierpunkt. Es regnet und die Bahnen werden für den kommenden Hürdenlauf getrocknet. Der Wind ist noch im Schlafmodus.

Gleich am Morgen hat Karin Grünberg einen Friesursalon eröffnet. Eva, Verena und Kira haben sich von ihr eine Flechtfrisur machen lassen und erscheinen neu gestylt beim Frühstück. Sie werden zum Mittelpunkt mancher Männerpupillen. Ob die Frisur bei den Wettkämpfen helfen wird?

Logo - European Athletics U23 ChampionshipsDer heutige Wettkampftag hat wieder ziemliche Programmdichte. Sieben österreichische Athletinnen und Athleten kämpfen um Rang und Ansehen. Neu im Stadionrund werden Eva Wimberger und Thomas Kain zu sehen sein. Alle anderen haben sich schon gestern präsentiert. Meine filigranen Gefühle schweben zwischen Hoffnung und Euphorie.

Der erste Bewerb ist der Vorlauf über die 10 Hürden, die auf 100 m verteilt wurden. Eva Wimberger startet im zweiten Heat. Sie ist heuer bereits 13.55sec gelaufen und bei internationalen Wettkämpfen erfahrungserprobt. Eva ist nach dem Start vorne und spult den Lauf in menuettartiger Präzision ab. Die Leistung ist hui und die Platzierung ist wui. Mit 13.75sec wird sie Dritte und qualifiziert sich für das Semifinale. Meine Stimmung ist damit über der Baumgrenze.

Um 11.55 Uhr herrscht dann wieder adrenalingetränkte Stimmung im Stadion. Ivona Dadic und Verena Preiner beginnen ihren zweiten Wettkampftag mit dem Weitspringen. Drei Versuche sind erlaubt und dabei soll nichts schief gehen. Thomas Kayer, der sportpsychologisch coacht, hat Verena noch am Morgen mental auf das horizontale Wettspringen eingestimmt.

Ivona setzt gleich den ersten Sprung mit 6.08m in die Grube und bringt mich in die Juhuu-Abteilung. Leider sind die weiteren Sprünge ungültig. Verena beginnt mit 5.58m und verbessert sich dann auf 5.75m. Eine solide Sache, die nichts verdirbt. Damit bleibt Dadic hinter der Ungarin Krizsan am zweiten Gesamtrang. Die Russin Tkach ist 14, die Slovakin Mokrasova 130 Punkte zurück. Preiner ist weiter auf dem sechsten Gesamtrang und hat 4142 Punkte. Wenn sie diese Positionen halten, werde ich heute meine vergreisten Schlafgewohnheiten aufgeben und feiern gehen.

Um 12.00 Uhr bestreitet Niki Franzmair seinen zweiten Mittelstreckenbewerb. Er ist im zweiten 800 m Vorlauf dabei. 1.500m und 800m an zwei Tagen hintereinander ist nichts für Flachhobler. Was hat er heute noch drauf? Eine Runde lang bleibt die Gruppe dicht beisammen und die Uhr zeigt 53sec. Niki bleibt mit gusseiserner Sturheit am Feld dran, obwohl auch gerempelt wird. Nach 600m sind dann die Hausaufgaben endgültig gemacht, und es wird nun ziemlich unterhaltsam. Die Spurts beginnen. Da ist aber für Nikolaus das Reindl schon ausgeschmiert. Er kämpft sich ins Ziel und fixiert 1:51,62min. Ich bin jetzt für einen Kaffee nicht ganz widerstandslos.

Thomas Kain wird über 400m Hürden guter ZehnterDie Regenwolken scheinen nun austherapiert und stören die Wettkämpfe nicht mehr. Es hat 18 Grad Celsius. Thomas Kain hat seine Haube aufgesetzt und ist im ersten von drei Vorläufen über 400m Hürden im Einsatz. Von den Konkurrenten sind drei mit schnelleren und drei mit langsameren Zeiten nach Tallinn gekommen. Nur zwei steigen direkt in die nächste Runde auf. Das wird schwer werden. Schon nach 100 m bleibt keine Zeit mehr zum Seelenbaumeln, denn Thomas läuft auf der Außenbahn und sieht die Konkurrenten nicht. Es geht aber auch darum, noch genug Lustgewinn für den Endspurt aufzusparen. Als die Kurvenvorgaben aufgebraucht sind, kommt Thomas als Vierter in die Schlussgerade. Niemand von den Führenden lässt locker. Thomas kämpft, kann aber seine Position nicht mehr verbessern. Mit 51,26sec versäumt er den Aufstieg über die Zeitregel nur knapp.

Am Nachmittag dann das Speerwerfen der Siebenkämpferinnen. Man braucht kein berüchtigter Optimist zu sein, um einstweilen nicht an eine Medaille für Ivona zu glauben. Verena ist ebenfalls mit dem sechsten Platz sensationell unterwegs. Sie wird noch in zwei Jahren in der U23-Liga mitspielen. Preiner steigert sich im Speerwerfen bei jedem Durchgang und fixiert beim dritten Wurf 45.30m. Das bringt ihr den vierten Platz in dieser Disziplin ein. Dadic landet mit 44.70m einen Platz dahinter. Damit ergibt sich für den abschließenden 800m-Lauf eine feine Ausgangslage.

Um 17.15 Uhr startet Markus Fuchs über die 200 m. Er will sich auch hier Erfahrungen holen und den Flair einer Europameisterschaft genießen. Seine Bestzeit von 21.74sec lassen einen Aufstieg in die nächste Runde nicht erträumen. Trotzdem. Markus schlägt sich gut und läuft 21.99sec.

Gleich darauf kommt nochmals Eva Wimberger ins Stadion. Sie hat sich mit einer starken Leistung am Vormittag für den Zwischenlauf über die kurze Hürdenstrecke qualifiziert. Auch einen Stock höher läuft es für sie wunderbar. Eva wird Sechste ihres Laufes und spurtet sowohl die italienische wie auch französische Konkurrentin nieder. Vierzehnte einer Europameisterschaft zu werden, ist eine feine Leistung und für mich ein inneres Volksfest. Sogar die Flechtfrisur von Mutter Grünberg hat bis ins Ziel gehalten.

Um 18.00 Uhr hat sich der Himmel entschieden. Die Regenwolken verzeichnen keinen Raumgewinn mehr. Es scheint die Sonne, es hat aber lausige 19 Grad.

Nun kommt Kira Grünberg im finalen Stabhochsprung. Warum – bitte sehr vielmals – soll ich auch hier nicht von einem Spitzenrang träumen dürfen? Kira ist immer für Höhenflüge gut. Sie beginnt den Bewerb bei 4.15m und strampelt sich sicher über die Latte. 4.25m gehen auch ganz locker. Doch dann reißt die Serie. Bei 4.35m scheitert sie drei Mal. Klar, dass sie darüber enttäuscht ist. Es hat so gut begonnen. Bei mir löst ein 4. Platz bei einer EM  keinen emotionalen Kabelbrand aus.

Das Feld der Siebenkämpferinnen in TallinnDann aber kommt es zum Showdown der Siebenkämpferinnen. Es folgt die Geißelung des 800m-Laufes. Wer jetzt noch als Österreicher ganz ruhig bleiben kann, ist ein Kandidat für den Posten des 15. Dalai Lama. Nach dem Hexeneinmaleins liegt Ivona Dadic mit 5173 Punkten auf dem dritten Gesamtrang. Verena Preiner hat 4911 Punkte und ist Sechste. Sie gehört - nach der Saisonleistung gemessen - zu den schnellsten Mittelstrecklerinnen im Feld. Verena dominiert von Beginn an das Rennen und setzt sich gemeinsam mit der Polin Sochon vom Feld ab. Sie gibt sich voll aus und finished als Zweite mit 2:12min. Ivona merkt man auch an, dass sie kämpft. Vor allem zum Schluss geht es hart an die Grenzen. Es zahlt sich aus. Sie bringt 2:17min ins Ziel.

Das Endresultat des Siebenkampfes schmeckt wie gezuckerte Wirklichkeit. Ivona Dadic erreicht 6.033 Punkte, stellt einen österreichischen Rekord auf und erkämpft die Bronzemedaille. Welch großartige Leistung!!!

Verena Preiner wird phantastische Vierte und stellt mit 5.840 Punkten eine persönliche Bestleistung auf. Ihr gebührt ebenfalls ein Ehrenausweis. Und Wolfgang Adler, Gregor Högler und Philipp Unfried sollten vom ÖLV den schwarzen Gürtel, dritter Dan, bekommen. Nur so als Beispiel. Ich gehe jetzt sowieso feiern.

Fotos: Coen Schilderman

Herbert Winkler

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