U23-EM: Innenansichten aus Tallinn – Donnerstag

Gestern fand in der Altstadt die Eröffnung der Europameisterschaft statt. Es wurden Ansprachen mit Textschwächen und danach eine Musikdarbietung für schwerhörige Menschen geboten.

Bereits um 10 Uhr finden sich im Stadion viele Schwergewichte ein. Die Kugelstoßerinnen bestreiten ihr Qualifikationsstoßen. Ein Casting im Bereich X-large. Dann folgen die Vorläufe über die 100m. Seit Jahren haben sich die Ängste über das Ausscheiden in den Sprintbewerben wegen eines zu frühen Startes gelegt. So wie die einhändige Rückhand im Tennis ausstirbt, so findet auch kein Massensterben mehr bei den Sprintbewerben statt.

Markus Fuchs ist im dritten Vorlauf über die 100 Meter am Start. Er ist heuer schon 10,56sec gelaufen und gut motiviert. Der Start gelingt ihm ausgezeichnet. Markus kommt am schnellsten aus der Startmaschine und trommelt dann los. Ein lästiger Gegenwind bremst den Lauf herunter. Es gewinnt der Italiener Galbierei mit 10,51sec. Markus wird Siebenter und insgesamt 29. aller Läufer.

Um 11.35 Uhr beginnt der Siebenkampf der Frauen. Bei diesem  Breitband-Bewerb stellt Österreich gleich zwei Starterinnen. Ivona Dadic und Verena Preiner sind beide in guter Form und könnten in Rufweite zu den 6.000 Punkten kommen. Das beweisen sie gleich beim 100 m-Hürden-Lauf. Ivona und Verena starten im gleichen Lauf und dominieren diesen auch. Beide liefern persönliche Bestzeiten ab. Dadic gewinnt mit 14,05sec und Preiner wird Zweite mit 14,23sec. Sie gehen als Vierte (967 Pkt.) und Siebente (946 Pkt.) in den Hochsprungbewerb. Ich überlege, ob ich schon jetzt einen Baum umarmen soll.

Gleich darauf beginnt für Kira Grünberg die Qualifikation im Stabhochsprung. Frithjof Grünberg, Trainer und Vater, strahlt buddhistische Ruhe aus, so als betreue er einen Babyfechtbewerb. Die Coaches können den Einstichkasten nicht einsehen. Victoria Schreibeis protestiert und erreicht mit Widerborstigkeit, dass die Coachingzone ins Stadionrund verlegt wird. Kira steigt bei 4,10m in den Wettkampf ein, was ihr einziger Sprung bleibt. Damit ist sie für den Finalbewerb qualifiziert.

Im Medienzentrum muss man ein guter Freund von Herrn Google sein. Im Zeitalter des Yahoozän laufen alle Daten, Zeiten, Ergebnisse und Informationen über die Disziplinen und Akteure in einem Monitor zusammen. Der Himmel über Tallinn kann sich nicht entscheiden, ob er die Wettkämpfe stören soll oder nicht. Regen und Sonnenschein wechseln einander ab.
Einstweilen hat beim Heptathlon der Frauen der Hochsprung begonnen. Verena schafft 1,64m erst im zweiten Versuch, weshalb Vater Preiner ein Fall für die Notaufnahme wird. Doch sie legt noch einmal richtig zu und springt mit 1,67m die zweite persönliche Bestleistung des Tages. Großartig.

Logo - European Athletics U23 ChampionshipsIvona braucht für die 1.64 m gleich drei Versuche. Gregor Högler, dessen Hochsprungleistung ich im Internet nicht finde, betreut sie äußerst kompetent und unaufgeregt. Ivona kommt immer mehr in Schwung und überquert alle Höhen, inklusive 1,73m. Phantastisch, wie sie nach ihrer Verletzung wieder auf Touren kommt.

Am Nachmittag setzen die Siebenkämpferinnen mit dem Kugelstoßen fort. Und wieder liefern unsere Mädels eine Sondervorstellung. Verena erweitert ihren persönlichen Horizont auf 13,44 m, was den dritten Platz bedeutet. Ivona stößt sich mit 12.78 m auf den vierten Rang, was ihr weitere 713 Punkte einbringt. Nach drei Bewerben ist Dadic an dritter und Preiner an sechster Stelle der Heptathlon-Rangliste. Sie liegen um 50 Punkte auseinander. Ich nehme jetzt vor Freude ein bewusstseinserweiterndes Getränk ein.

Als Nächste kommt Julia Millonig auf die Laufbahn. Schon ihr Vereinsname ULC Riverside Mödling weist darauf hin, dass nun ein feuchter Bewerb kommt. Julia läuft die 3.000m Hindernis. Von Beginn an reiht sie sich am Ende der Karawane ein und verliert anfangs an Boden. Doch drei Runden vor Schluss gefällt ihr das nicht mehr und sie überholt Isabell Norstedt aus Schweden. Dann ist ihr auch eine Portugiesin im Weg und Julia überholt auch Sousa Daniela. Die letzte Runde gibt sich Julia noch voll aus und schwimmt auf der Milchsäure ins Ziel. 10:38min sind der Lohn.

Um 16.05 Uhr beginnt für Lukas Wirth der Stabhochsprungbewerb. Daraufhin geht eine Sintflut auf das Stadion nieder, und ich suche im Internet die Bauanleitung für eine Arche. Lukas scheitert im ersten und auch im zweiten Versuch über 5 m. Doch dann erlöst er uns mit einem astreinen Sprung, der zugleich sein letzter gültige Sprung ist. Leider reicht das nur hauchdünn nicht für den erlauchten Kreis der 12 Final-Springer.

Dann folgt ein weiterer Leckerbissen, denn beim Vorlauf über die 1.500m geht Österreich mit einer Doppelbesetzung ins Rennen. Im ersten Lauf startet Niki Franzmair. Am Anfang wählt Niki die Innenbahn und die vierte Position, die er aber nicht halten kann. Im Feld wird ordentlich gebolzt und um Positionen gekämpft. Niki verliert eine Runde vor Schluss immer mehr an Boden. Die Siegerzeit ist 3:43 min., Niki läuft 3:49min. 

Sebastian Fischbach geht es im zweiten Vorlauf nicht besser. Er bleibt von Beginn an im hinteren Teil des Feldes, aber auf Tuchfühlung nach vorne. Auch dieser Lauf verläuft ziemlich undemokratisch. In der Schlussrunde wird Sebastian – obwohl er sich beharrlich wehrt - abgehängt und erreicht mit 3:53min die Ziellinie.

Die Geschichte des 200m-Laufes der Siebenkämpferinnen ist schnell erzählt. Es ist eine Bilderbuchgeschichte. Verena bleibt mit ihrem Höhenflug auf Linie. Jede ihrer Leistungen war heute eine Uraufführung, und auch diesmal bringt sie mit 25,44sec eine Überdrüberleistung. Schneller war sie noch nie. Ivona erhöht noch das Hochdruckgebiet meiner Seele. Sie ist in ihrem Lauf von niemanden zu schlagen. Mit 24.11sec gewinnt sie den 200-m-Bewerb.

Zur Halbzeit des Siebenkampfes ist Ivona Dadic Zweite und Verena Preiner Sechste der Rangliste. Aus Platzgründen lasse ich die hundert Rufzeichen aus. Und mir ist es piepegal, dass mein Nachbar nicht umarmt werden will. 

Carina Schrempf setzt den Schlusspunkt des Tages. In ihrem 800m-Vorlauf sind nur fünf Läuferinnen. 28sec nach 200m und 60sec nach 400m sind die Durchgangszeiten. Carina läuft couragiert in der geschlossenen Gruppe mit, die sich erst auf den letzten 150m in die Länge zieht. Am Ende ringt sie noch eine Italienerin nieder und kommt mit 2:06,08 min. ins Ziel. Eine makellose Leistung.

Wie als Bestätigung beginnt wieder die Sonne zu scheinen.
 

Herbert Winkler

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