U23-EM: Innenansichten aus Tallinn – Mittwoch

Der Empfang in Tallinn ist kühl. Nein, die Gastgeber sind sehr freundlich und die Unterbringung im Hotel Radisson ist vorzüglich. Aber der Himmel hat sich mehrmals gewaschen und die Temperatur liegt bei 17 Celsiusgraden. Für die Athletinnen und Athleten ist das ein Segen. Nachdem man in Österreich 38 Grad gemessen hat und einer durstbedingten Ohnmacht nahe war, fühlt man sich in Estland wie im herbstlichen Jakutsien.

Masseur im EinsatzDer Weg vom Flughafen zum Hotel bringt einen ersten Einblick in die estische Hauptstadt. Tallinn zählt etwa 400.000 Einwohner, wovon die Hälfte ethnische Esten sind. Die anderen 50 Prozent sind russischer Herkunft. Die Stadt ist reich an Geschichte. Trüber Ostblock-Flair mischt sich mit skandinavischer Holzarchitektur. Bei einem Spaziergang findet man dicke Mauern genauso wie gotische Fassaden und zierliche Kuppeln. Vanalinn, die Altstadt, ist ein mittelalterliches Schmuckstück.

Im Team herrscht gute Stimmung und die Positionen der Supporter sind schon bezogen. Die Massagesalons sind bereits im Betrieb. Ursula Dattenböck knetet in ihrem Liliputzimmer mit routinierten Händen Muskeln, Sehnen und Bänder. Jan Siart hat sich im November einer pragmatisierten Beziehung verschrieben, ist happely married und führt nun den Doppelnamen Siart-Jantzen. Vater ist er auch geworden. Er ist nun noch entspannter und der Erlöser vieler Verkrampfungen. Auch er ist gut besucht.

Bei einer Fahrt mit einem öffentlichen Bus werde ich auf Deutsch angesprochen. Der Schriftzug AUSTRIA auf meinem Anorak hat einen älteren Tallinner ermutigt, mich anzusprechen. Deutsch ist in Estland eine anerkannte Minderheitensprache. Der Mann schwärmt von Österreich, kennt Niki Lauda, Johann Strauß und auch Conchita Wurst. Allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Vom südeuropäischen Tralala halten die meisten Esten dagegen gar nichts. Sie wollen auch nichts mehr nach Athen zahlen müssen.

Logo - European Athletics U23 ChampionshipsSigrun Schönfelder, unsere Medizinfrau, war mit Auto und großem Ärztekoffer mehrere Tage lang nach Tallinn unterwegs. Sie arbeitet in der Sicherheitskulisse, sollte sich auf der Wettkampf-Bühne eine medizinische Tragödie ereignen. Ihr erster Kunde ist Sebastian Fischbach, der eine leichte Verkühlung mitgebracht hat, sonst aber recht fidel ist.

Der Besuch im Stadion zeigt, dass die Anlage gut in Schuss ist. Acht Bahnen und jeweils zwei Sprunganlagen für den Hoch- und Stabhochsprung. Das Medienzentrum ist eher bemoost und abgewohnt. Das wird aber den prognostizierten guten Leistungen keinen Abbruch tun. Im Innenraum wurlt es. Das Aufwärmen und Auslaufen der designierten Akteure ist im vollen Gang. Victoria Schreibeis, die Julia und Markus coacht meint, dass die Bahn sehr schnell ist.

Beim Mittagessen im Speisesaal sind wir in illustrer Gesellschaft. Die großen Leichtathletiknationen Deutschland, Polen, Frankreich und Großbritannien sind ebenfalls im Radisson untergebracht. Zum Glück gibt es hier keine Speisekarte mit vielen Allergen-Buchstaben, mit denen man Scrabble spielen kann und die wie ein kulinarischer Drohbrief wirken.

Kira Grünberg wird morgen ins Wettkampfgeschehen eingreifenSchon morgen ist Großkampftag. Neun Athletinnen und Athleten steigen in ihre Bewerbe ein. Den Reigen eröffnet Markus Fuchs. Er bestreitet seinen Vorlauf über die 100m. Markus hat vor, keine 11 Sekunden zu brauchen. Der Aufstieg in den Zwischenlauf ist das Ziel.

Den Schlusspunkt des Tages wird Carina Schrempf setzen. Sie kommt gut getaktet aus den Staaten und hat sich heuer mit ganz tollen 2:04,76min. für den 800m-Lauf angemeldet. Mit dieser Zeit kann sie in jedem Lauf sekkant werden. Auch für sie ist der Aufstieg ins Semifinale das Ziel.

Zwischen Markus und Carina bestreiten Ivona Dadic und Verena Preiner im Siebenkampf, Kira Grünberg und Lukas Wirth im Stabhochsprung, Julia Millonig auf der Hindernisstrecke und Sebastian Fischbach sowie Niki Franzmair über die 1.500m ihre Bewerbe. Es wird ein Tag, der selbst Menschen mit niedrigem Blutdruck ein sprudelndes Ereignis bieten wird.

Wer dran bleibt, bekommt in den kommenden Tagen meine Eindrücke und Innenansichten zu den Bewerben der U23-EM über das ÖLV-Netz geliefert.

Fotos: GEPA Pictures

Herbert Winkler

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