Team-EM: Innenansichten aus Riga - Sonntag

Der gestrige Tag hatte alles, was das Herz begehrt und auch alles, was es nicht begehrt. Tolle Leistungen und Siege waren mit weniger erfreulichen Leistungen vermischt. Wir liegen an letzter Stelle der Nationenwertung, und ich werde heute nur Grünen Tee trinken und vielleicht auch einen Baum umarmen.

Ich sitze im Medienzentrum, das von netten Damen betreut wird, was aber die hinterzimmrige Unterbringung nicht wettmacht. Die Temperatur im Stadion ist weit weg von der Körpertemperatur auf 13 Grad gefallen.

Bettina Weber beschäftigt sich ab 14.35 Uhr beim Hammerwerfen mit den Fallgesetzen der Eisenkugel. Ihre drei Würfe landen über der 50-m-Marke. Der weiteste ist 50.96 m. Damit bringt sie der Mannschaft zwei Punkte.

Dann werden die Diskuswerfer vorgestellt. Manche schauen wie Mitglieder der Panzerknackerbande aus. Für uns steigt Evergreen und Nevergray Gerhard Mayer in den Wurfkreis. Er sucht mit Gregor Högler stets nach der Weltformel für Physik und ist ein verlässlicher Bringer. Gleich der erste Wurf ist 59.34 m weit. Dann geht es mit menuettartiger Präzision weiter: 56.04 m, 55.14 m und 57.16 m. Gerhard gewinnt den Bewerb und bringt uns die maximalen Punkte.

Über die 100 m Hürden starten die Frauen mit zulässigem Rückenwind. Eva Wimberger, der der Hals samt Nase zu schaffen macht, läuft ein phantastisches Rennen mit persönlicher Bestzeit von 13.67 sec. Vierter Platz und fünf Punkte für uns. Dominik Siedlaczek bringt über die kurze Hürdendistanz ebenfalls eine feine Leistung. Er stellt drei Punkte sicher.
Nach 26 Bewerben habe ich das Gleichgewicht meiner Gedanken noch nicht verloren. Wir sind noch immer Letzter, haben aber aufgeholt.

Niki Franzmair hat vorige Woche die Reifeprüfung geschafft, was eine große Erleichterung für seine Eltern war. Sie haben als Dank eine Wallfahrt angetreten. Es wird vermutet, dass sie in Socken nach Mariazell pilgern. Niki vertritt einstweilen über die 800 m Österreichs Farben. Der Lauf ist anfangs als Intervalltraining angelegt, beginnt flott, stirbt dann nach 200 m ab und wird wieder flott. Niki ist taktisch wieder wunderbar von Wolfi Adler eingestellt, forciert 250 m vor dem Ziel das Tempo und ist dann auf der Zielgeraden der Erste. Er gibt sich vollkommen aus und wird nur vom Slowaken Repcik um eine Hundertstel geschlagen. Absolut imponierend.

Damit kommt die Nationenwertung wieder ins Rutschen. Nach 27 Durchgängen sind wir den Dänen auf fünf Punkte nahe gerückt. Lisa-Maria Leutner startet über die 1.500 m. Sie kommt gut vorbereitet, hat sie doch vorige Woche einen Wiener Rekord über 1.000 m aufgestellt. Anfangs sitzt sie im Bummelzug und macht sogar die Lokomotive für die anderen. Eine Runde vor Schluss geht die Post ab. Lisa bleibt dran und wird von vier Läuferinnen überlaufen. Auch von hinten droht Ungemach. Da legt Lisa aber noch einmal zu und stellt sich mit dem fünften Platz in die Auslage. Ich gönne mir nun gleich zwei Kaffee.
Vom Kugelstoßgelände und der Weitsprunggrube werden ebenfalls Überraschungen gemeldet. Christina Scheffauer stößt über 14 Meter weit, und Julian Kellerer springt im Dreisprung eine persönliche Bestweite mit 15.61 m. Beide werden Fünfte und halten uns gut im Rennen.

Dann die 3.000 m Hindernis mit Christian Steinhammer. Er hat heuer seine persönliche Bestzeit mit 8:43 min. ins persönliche Geschichtsbuch eingetragen. Gleich zu Beginn setzt er sich an die Spitze. Hinten reißt der Serbe und der Kroate bereits ab. Was die anderen vorhaben, weiß man nicht. Christian dreht sich ständig um und wartet auf die Ablöse als Führender. Zwei Runden vor Schluss wird der Lauf schneller, und Christian ist Dritter. Hinter ihm entsteht eine große Lücke. Am Ende kommen die Läufer verstreut auf die gesamte Stadionrunde ins Ziel. Christian bleibt Dritter und ist zufrieden. Ich auch.

Nach 29 Bewerben sind wir zehn Punkte von Dänemark und 11 Punkte von Kroatien weg. Vielleicht geht noch was.
Monika Gollner bringt aus dem Hochsprung gute vier Punkte mit, und auch Matthias Kaserer, Zahnarzt und trotzdem ein Sonnenschein von Gemüt, legt einen tollen Wettkampf hin. Er kommt neuerlich mit dem Speer knapp an die 70 m heran.
Nach 34 Bewerben sind wir mit 123 Punkten zehn Punkte von Kroatien und 12.5 Punkte von der Slowakei entfernt. Ob wir dem Verbleib in der zweiten Liga noch schaffen, ist keine Heimhörerfrage mehr. Nun geht es nur mehr um die Verbesserung des Endresultates.

Unverdrossen widmet sich Brenton Rowe seinem zweiten Bildungsweg. Er hat gestern die 5.000 m gewonnen und startet heute auch über die 3.000 m. Extra ist er aus Australien angeflogen und fliegt morgen wieder dorthin zurück. Im Feld wird gleich von Beginn an Tempo gemacht und Brenton reiht sich als Zweiter im Pulk ein. Herrlich, welchen elastischen Schritt er auch heute hat. Dann wird der Lauf verlangsamt und erst wieder vier Runden vor Schluss beschleunigt. Brenton scheint alles recht zu sein. Er ist immer an zweiter Stelle. 1.200 m vor dem Ziel geht er nach vor, und darauf zerreißt es das Feld. Noch 800 m und Brenton steigert nochmals mirnixdirnix das Tempo. Nur mehr zwei Läufer können sich anhängen. Dann sprintet der ausgeruhte Lette vor, und Brenton hängt sich an. Ich falle vor Begeisterung beinahe vom Sessel. Welch tolle Leistung. Brenton kommt als sicherer Zweiter über die Ziellinie und wirkt gar nicht erschöpft. Für mich ist er der Held des Tages. Wenigstens eine Sackgasse sollte in Wien nach ihm benannt werden.

Bei den 4 x 400m-Staffeln geht es um den ordentlichen Abschied von der zweiten Liga. Die Frauenstaffel wird Sechste, und die Herren bringen den Stab als Achte ins Ziel.

Am Ende des Tageslichts steht es dann fest. Österreich wird nächstes Jahr in Baku um die Rückkehr in die zweite Liga kämpfen. Das löst zwar kein Weltumarmungsgefühl aus, aber auch keine reaktive Depression. Die finsteren Stunden sind ja immer jene vor dem nächsten Sonnenaufgang.
 


 

Herbert Winkler

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