Heinrich Thun: Österreichs fast vergessener Wurfgigant

Der Weltjahresbeste im Hammerwurf 1963 und zweimalige "Sportler des Jahres" in Österreich wurde mit dem ‚Austrian Athletics Milestone‘ ausgezeichnet

Ein Sportler, der die Weltjahresbestenliste in seiner Disziplin angeführt hat, der bei zwei Olympischen Spielen im Finale stand, der den Olympiasieger und Weltrekordhalter in einem dramatischen Wettkampf in seiner Heimatstadt besiegen konnte und der zweimal die Ehre hatte, als "Österreichs Sportler des Jahres" ausgezeichnet zu werden – ein solcher Sportler sollte eigentlich bekannt sein. „Früher hat mich öfter jemand in der Straßenbahn erkannt. Mir war das eher peinlich. Im Mittelpunkt zu stehen war nicht meins“, erinnert er sich. Mittlerweile ist es schon sehr lange her, dass den heute 75-Jährigen jemand auf seine Erfolge angesprochen hat. Die Öffentlichkeit kann mit seinem Namen nichts anfangen. Umso wichtiger ist es, dass seine Leistungen in Erinnerung gerufen werden und er am 12. März 2014 mit dem „Austrian Athletics Milestone“ geehrt wurde: Hammerwerfer Heinrich Thun, Österreichs fast vergessener Wurfgigant.

Beginn in der Nachkriegszeit

Es war eine andere Zeit in vieler Hinsicht, als Heinrich Thun, geboren am 1. September 1938 in Wien-Margareten, in den 1950er Jahren mit dem Sport begann. „Es gab viele freie, unverbaute Flächen, wo wir werfen konnten“, erinnerte er sich. Seine erste Anlaufstelle zum Training war der ASVÖ-Sportplatz in Speising, später auch der Cricket-Platz im Prater. „Den Tag über habe ich als Mechaniker gearbeitet. Am Abend bin ich mit dem 18er zur Schlachthausgasse gefahren und weiter zu Fuß in den Prater zum Training. Die Fahrten haben lange gedauert. Ich war hundemüde am Abend. Meiner Mutter hat es wohl gefallen, weil ich dadurch auf keine blöden Gedanken gekommen bin“, schildert er. Wie viele in seiner Generation ist er ohne Vater aufgewachsen; dieser war „im Krieg geblieben“, 1942 in Stalingrad.

Mit "exotischer" Sportart im Blickfeld

Heinz Thun gewann 1957 seinen ersten von neun österreichischen Meistertiteln. Ein Jahr später war er bei den Europameisterschaften in Stockholm Dritter in der Qualifikation, im Finale erreichte er den 13. Platz. Die Olympischen Spiele in Rom 1960 wurden sein erster Auftritt auf der ganz großen internationalen Bühne. Dort schaffte er es als 21-Jähriger ins Finale und holte Rang neun. Seine Leistungskurve ging weiter nach oben in die absolute Weltklasse, unterstützt von seinem Trainer Franz Peterlik. 1961 warf er den Hammer 68,33 Meter weit und platzierte sich auf Rang drei der Jahresweltbestenliste. Auch in Österreich war er mit seiner für viele exotisch wirkenden Sportart damit ins Blickfeld gerückt. Sportjournalisten wählten ihn 1961 zum Sportler des Jahres. Traudl Hecher, Karl Stotz und Pepi Stiegler folgten auf den Plätzen. „Ich weiß auch nicht, warum ich gewählt worden bin“, sagt er. „Der Hammerwurf war ja vor allem vom Ostblock dominiert. Vielleicht hat es einigen gefallen, dass ein Österreicher da Paroli bieten konnte. Oder es hat sich eine Gruppe Journalisten gedacht, dass es bei der Sportlerwahl einen Ausgleich zum Skifahren und Fußball geben soll, die sonst immer im Mittelpunkt stehen.“

1962 kam Thun so knapp wie nie an eine internationale Medaille heran. Bei den Europameisterschaften in Belgrad landete er mit 65,32 Meter auf dem vierten Platz hinter dem Ungarn Gyula Zsivotzky und zwei Russen. „Ich muss sagen, da wäre mehr drin gewesen. Beim Einwerfen bin ich deutlich weiter gekommen als im Wettkampf. Ich habe schon zu viel Energie reingelegt, bevor der Bewerb losgegangen ist“, erinnert sich Thun.

Showdown mit Weltrekordler Hal Connolly in Wien-Speising

Sein wohl größtes Sportjahr kam 1963. Am 15. September stand in Leoben ein Länderkampf Österreich – Belgien am Programm. Thun war wie eine Klasse für sich und warf den Hammer sensationell 69,77 Meter weit: Jahresweltbestleistung, damals Platz 3 in der ewigen Weltbestenliste und ein Österreichischer Rekord, der 13 Jahre lang halten sollte. „Leoben hatte eine sehr gute Wurfanlage. Bei diesem Wettkampf habe ich nach vier Versuchen aufgehört. Ich habe gedacht, die 70 Meter werfe ich sowieso bald einmal“, sagt er. Diese Traummarke sollte ihm nicht mehr gelingen, aber in zahlreichen Wettkämpfen etablierte sich Thun in der obersten Weltspitze. Bei mehreren Aufeinandertreffen mit dem US-amerikanischen Olympiasieger und Weltrekordhalter Harold „Hal“ Connolly erwies er sich als ebenbürtiger Gegner. Zweimal siegte in diesem Jahr Connolly, zweimal Thun. Am 5. Oktober kam es zum wohl hochkarätigsten Hammerwurfduell des Jahres, und zwar in Wien, am Sportplatz in Speising, wo Thun mit der Leichtathletik begonnen hatte. Fünfmal übertrafen Connolly und Thun in diesem Wettkampf die 68-m-Marke. Connolly schaffte 68,49 Meter als Höchstweite, Thun konnte diese Vorgabe zweimal übertreffen und siegte mit 68,57 Meter. Ein Wettkampf, der auch international für Aufsehen und Presseberichte sorgte. „Heinz Thun, Austria’s only serious hope for a gold medal at the 1964 Olympics at Tokyo, defeated Harold Connolly in an exhibition hammer throwing contest Saturday at the Austrian Team Championships”, begann die Meldung der Agentur Associated Press. „Es waren ja nur ein paar Zentimeter”, kommentiert Thun heute diesen Erfolg mit der ihm eigenen Zurückhaltung, die die eigene Person nicht so wichtig nimmt. „Connolly hat mich dann zu sich nach Amerika zum Training eingeladen, aber dazu ist es nicht mehr gekommen.“

Zweimal Sportler des Jahres in Österreich

In diesem Jahr wurde Heinrich Thun zum zweiten Mal als Österreichs Sportler des Jahres ausgezeichnet. Die Abfolge der Preisträger unterstreicht den Stellenwert dieses Wahlerfolgs in der Wintersportnation Österreich: 1956-58 Toni Sailer (Ski Alpin), 1959 Karl Schranz (Ski Alpin), 1960 Ernst Hinterseer (Ski Alpin), 1961 Heinz Thun (Leichtathletik), 1962 Karl Schranz (Ski Alpin), 1963 Heinz Thun (Leichtathletik), 1964 Pepi Stiegler (Ski Alpin). Bis heute ist Thun der einzige männliche Leichtathlet, der zu Österreichs Sportler des Jahres gewählt worden ist.

Karriereende, Beruf und Erinnerungen

Bei den Olympischen Spielen von 1964 in Tokio gehörte er einem ÖOC-Team an, das wie 48 Jahre später wegen eines medaillenlosen Abschneidens geschmäht wurde. Thun schaffte es in Japan ins Finale, blieb aber unter seinen Möglichkeiten und landete auf dem 15. Platz. Mehr und mehr machten ihm Verletzungen zu schaffen. Für die Europameisterschaften 1966 in Budapest konnte er sich qualifizieren, trat dann aber nicht zum Bewerb an. Der Rücken machte Beschwerden. „Einige haben mir zur Operation geraten, andere dagegen nicht. Ich habe dann einfach aufgehört, ohne Pressekonferenz oder sowas“, beschreibt er sein Karriereende. Im gleichen Jahr kam sein erster Sohn zur Welt, ein weiterer und zwei Töchter sollten folgen. Beruflich blieb Thun zunächst noch beim Bundesheer, wo er sich nach Tätigkeiten als Mechaniker und bei der Länderbank (heute: Bank Austria) zu seiner Zeit als Aktiver dem Leistungssport widmen konnte. Anstatt die Militärakademie zu besuchen machte er extern die Matura nach und wechselte ins Unterrichtsministerium, wo er in der Buchhaltung und später als Ministerialrat im Personalwesen tätig war.

Regelmäßig kommt Heinz Thun noch am Sportplatz in Speising vorbei, wo für ihn alles begonnen hat. Hammerwerfen kann man dort nicht mehr. Aber seine Erinnerungen an eine große Sportlaufbahn sind lebendig, und seine Erfolge strahlen als Ansporn für jeden Sportler.


Heinrich Thun
Geb. 1.9.1938 in Wien-Margareten
Verheiratet, 4 Kinder, lebt in Wien
Hammerwerfer, Verein: WAF (Wiener Associationfootball-Club)

Nummer 1 der Weltjahresbestenliste 1963 mit 69,77 Meter
Nummer 3 der Weltjahresbestenliste 1961 mit 68,33 Meter
Österreichs Sportler des Jahres 1961 + 1963

13. Platz Europameisterschaften Stockholm 1958
9. Platz Olympische Spiele Rom 1960
4. Platz Europameisterschaften Belgrad 1962
15. Platz Olympische Spiele Tokio 1964

Österreichischer Staatsmeister 1957-64 und 1966
15 Österreichische Rekorde

 

ÖLV | 13.03.2014

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