Team-EM: Innenansichten aus Litauen (Sonntag)

Anita BaierlDer Morgen in Kaunas ist wieder sonnig und warm. Heute soll die Umgebungstemperatur aber um zwei Grad weniger haben als gestern. Wir werden es nicht merken. Die Teamleitung ist mit den bisherigen Leistungen hoch zufrieden und diskutiert den heutigen Wettkampftag. Für die 4x400-m-Staffel der Männer ist eine Änderung notwendig, nun läuft Michael Mayr statt Ali Hofmann, der sich nicht wohl fühlt.

Im Frühstücksraum herrscht gute Stimmung. Für Ingrid Müller ist heute ein besonderer Tag. Sie rückt wieder ein Stück näher zur absoluten Weisheit und Abgeklärtheit. Dazu bereitet das Team ein geheimes Geburtstagsfest vor.

Mit dabei ist auch Eric Würger. Er war in den 60-Jahren erfolgreicher Diskuswerfer, der die Scheibe an die 50-m-Marke warf. Er ist der Leichtathletik als Fan treu geblieben und lässt keine Welt- oder Europameisterschaft aus. Meist sitzt er unerkannt auf der Tribüne. Diesmal ist er mit der Mannschaft zusammen. Seine Geschichten über die Leichtathletik der früheren Jahre kommen einer Lachgasbehandlung nahe.

Die Wettkämpfe beginnen um 14.30 Uhr mit dem Hammerwurf der Frauen und dem Stabhochsprung der Männer. In beiden Bewerben kann man leicht aus einem Alles ein Nichts machen. Das weiß Paul Kilbertus auch, steigt trotzdem erst bei sensiblen 5,00 m ein und reißt die Höhe zwei Mal. Na bumm, jetzt brauche ich eine Baldrian-Limo. Der dritte Versuch klappt dann. 5,20 m gehen sich aber nicht mehr auf.

Julia Siart dreht den ersten Wurf an und lässt den Hammer auf 48,22 m fliegen. Im zweiten Versuch geht es noch weiter und auf 48,94 m. Damit macht sie uns Freude und bringt die eingeplanten zwei Punkte.

Womit ich mit dem Positiven vorerst fertig bin, denn ich erfahre die Horrorbotschaft des Tages. Beate Schrott hat sich beim Aufwärmen verletzt und kann nicht starten. Das tut echt weh! Sie hätte uns sichere acht Punkte gebracht, was jetzt vollkommen in den Hintergrund rückt. Wichtig ist, dass die Verletzung nicht weitreichend ist und nicht ihren WM-Antritt in Moskau gefährdet.

Michaela Egger sorgt als Ersatzfrau im Weitsprung für wichtige PunkteJetzt wird es haarig. Ohne Teilnahme an einem Bewerb gibt es null Punkte und damit  begänne der Kampf gegen den Abstieg  in die 3. Liga.

Zum Glück ist Linda Thoms im Stadion. Sie wärmt blitzschnell auf und macht ein großartiges Rennen mit Saisonbestzeit. Mit 14,13 sec. wird sie Fünfte und bringt uns aus dem bevorstehenden Tränental wieder in den sonnigen Hochnebel. Nach 23 Events sind wir an sechster Stelle. Das wäre jetzt das erklärte Ziel, da es den Erhalt der Klassenzugehörigkeit bedeutet.

Manuel Prazak setzt engagiert nach, verspeist eine Hürde nach der anderen und läuft nach 110m als Fünfter durchs Ziel. Ein starker Auftritt, der uns gut im Rennen hält.

Gleich darauf kommt Gerhard Mayer. Er ist im Diskusbewerb der Favorit. Auf Siege kann man sich im Kreis der „Bröckerln“ nie ganz verlassen. Der Zypriote Parellis und Gudzius aus Litauen würden mit ihrer Figur jedes Casting für eine Baumarktwerbung gewinnen und sind auch 60-m-Werfer. Und so kommt es auch. Gerhard wird Zweiter und verpasst den Sieg um 59cm. Göttin Fortuna hat doch nicht vergessen.

Über die 800 m werden auch viele Punkte erwartet. Andi Rapatz ist ein Immergrün in der Nationalmannschaft. Er ist seit Jahren ohne jede Unterbrechung unser Mann für die zwei Stadionrunden. Es wird ein Lauf mit Reflux-Potential. Andi ist im Pulk abwechselnd vorne und hinten, wird eingezwickt. Manchmal laufen vier Läufer in Reih und Glied vor ihm. Am Ende fightet er sich aus dem Pulk heraus und wird Dritter.

Die gute Nachricht ist, wir sind nach 26 Durchgängen an sechster Stelle. Die schlechte ist, dass auch Marina Kraushofer für den Weitsprung ausfällt. Michaela Egger wird sie vertreten. Und das macht sie gut. Sie springt 5.81 m und legt drei Punkte in die Kassa ein.

Roman Schmied springt zur BestleistungFür Roman Schmied wird der 23. Juni ein besonderer Tag. Er setzt 15.65 m in die Grube und schafft einen persönlichen Rekord. Sensationell. Damit bringt er  fünf Punkte aus dem Wald auf die Lichtung. Nun sind wir nach 29 Events an der fünften Stelle und sehen die Welt wieder in Hoffnungsfroh.

Christoph Sander lässt im Hindernislauf nur anfangs die Seele baumeln und schaut sich den Rennverlauf an. Dann weiß er, welche Gegner zu stark und welche er hinter sich lassen will. Zum Schluss ist vorne die Post weg, aber Christoph lässt drei Läufer hinter sich. Er bringt fünf überlebenswichtige Punkte.

Auch heute bietet das „Pressecenter“ ein spartanisches Ambiente mit Essensentzug und Kloverbot an. Für beide Bedürfnisse muss man einen Wandertag einplanen. Das Internetz stürzt oft ab und auch der Strom aus der Dose schwankt auffällig. Wo ist das Bundesheer, wenn man es wirklich braucht?

Nach den beiden 200-m-Läufen kommen insgesamt vier Punkte in die Gesamtliste, und wir haben unsere starken Paradedisziplinen vorbei. Der Hochsprung von Monika Gollner läuft nicht nach Wunsch, sie springt 1,78 m, und im Kugelstoßen machen wir einen Punkt. 

Wir nähern uns hurtig der Abstiegszone. Die Leistungen sind nun nicht mehr so wichtig, da jetzt die Punkte zählen.
Nach diesem Motto steigt Anita Baierl in den 5.000-m-Lauf ein. Ein langer Lauf mit kurzem Atem. Bald bilden sich drei Zweierteams, die getrennt ihre Runden ziehen. Anita ist in beim dritten Paarlauf dabei. Sie hält uns Zypern und Israel vom Leib und wird Fünfte. 

Dann kommen schöne Minuten zu meinem an schönen Minuten reichen Leben dazu. Lukas Pallitsch  läuft über 3.000 m ein couragiertes Rennen. Vorne macht ständig der starke Israeli Amara Tempo. Beim Showdown klärt aber Lukas souverän die Reihenfolge des Einlaufes und gewinnt für uns sieben Punkte.

Nach 34 Ereignissen sind wir zwar auf dem sechsten Platz, aber der Vorsprung auf Zypern ist nur mehr 5 Punkte. 
Matthias Kaserer betritt die terra incognita. Er löst im Speerwurf Martin Strasser ab, der einst Gregor Högler abgelöst hat. Er stellt sich zum Einstand mit einem 65er-Wurf ein und macht uns mit vier Punkten Freude.

Nun wird es endgültig ernst. Vor den Staffelbewerb sind wir nur 7 Punkte vom Abstiegsplatz entfernt. Die 4x400-m-Staffeln werden die Entscheidung bringen, ob der Daumen oben bleibt oder unten ist. Es geht darum, die Zyprioten in Schach zu halten, was nicht leicht wird. Die Athleten aus Israel können uns nicht mehr gefährden.

Unsere Mädels kämpfen wie wild um den Klassenerhalt und gegen die Milchsäure. Der Lauf verdient das Prädikat „besonders wertvoll“. Bevor Verena Menpace den Stab von Bettina Raffalt  übernimmt, sind wir drei Plätze hinter der israelischen Schlussläuferin. Als Verena ins Ziel kommt, ist sie einen Platz davor. Damit sind wir schon (fast) gerettet.

Günther Matzinger bei seinem Debüt im ÖLV-NationaltrikotNun noch unsere Burschen. Auch sie zeigen eine gute Performance. Es geht weder um die Schönheit, die wir sowieso gewinnen würden, sondern, dass wir nicht gegen Zypern abstinken. Und das gelingt. Günther Matzinger läuft ohne an den morgigen Muskelkater zu denken und rettet als Schlussläufer einen Sicherheitsabstand auf Zypern ins Ziel.

Damit festigen wir erfolgreich die sechste Position in der Liga. Das, obwohl wir mit Ausfällen zu kämpfen hatten. Obwohl die Teamleitung oft umstruktieren musste.

Ich bin jedenfalls happy und steige aber diesmal nicht mehr auf den Sessel. Man hat mir mit dem Abführen in der Zwangsjacke gedroht. Die Europameisterschaft war spannend und kein Hochamt der Langeweile. Und das Resultat ist Botox für die Seele. Große Gratulation an die gesamte Mannschaft.
 

Herbert Winkler

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