U20-WM: Innenansichten aus Barcelona (Samstag)

Um 9 Uhr ziehen sich die Trainer zu einer Besprechung zurück. Da Ivona Dadic für die 4 x 400 m Staffel ausfällt, wird nach einen Plan B gesucht. Leicht ist das nicht. Trainer in der Leichtathletik haben anders als z.B. Trainer in Mannschaftssportarten den Status der Unauffälligkeit. Nur Insider wissen zum Beispiel, von wem Usain Bolt oder Jelena Isinbajeva trainiert werden. Von den Medien werden die Stars unter den Athletinnen und Athleten in die Auslage gestellt. Trainer hingegen bleiben immer im Hintergrund, obwohl Sportler ohne sie nie zu Helden werden könnten.

Trainer, hundertpro
In unserem Team ist sichtbar, dass es eine starke Beziehung zwischen den AthletInnen und den TrainerInnen gibt. Man trifft die zugehörigen Paare meist im Tandem, sehr oft in Zweiergespräche vertieft. Die Trainer sind fachliche Autoritäten, Kumpel und vielfach auch Vaterfiguren. Die Freuden und Leiden werden geteilt. Gut sieht man auch, dass unsere Trainer von den Jungen hundertpro anerkannt und geschätzt werden. Ihr Wort zählt. Und die Trainer bekommen vielfach zurück, was sie in den letzten Jahren investiert haben. Von Geld ist hier nicht die Rede.

Trainer, bewundernswert
„Ich finde es wichtig, im Leben Inhalte und Ziele zu haben, und bei mir ist der Inhalt die Leichtathletik und die Arbeit mit jungen Menschen. Sie sind neben meiner Familie Jungbrunnen und Kraftort. Dafür opfere ich meine Zeit. Ein Traum wäre natürlich, einen Athleten von Kindesbeinen an zu einem Europameister zu führen“, sagt Hannes Achleitner, Trainer aus Tirol. Hans-Karl Ryzy, ein Allroundtrainer für technische Disziplinen aus OÖ, erweitert diese Aussage noch: „Ich sehe meine Arbeit als Verpflichtung und als Dienst an der Jugend.“ Ein bewundernswertes Credo. Ich bin sicher, dass er für die meisten der anwesenden TrainerInnen spricht.

Kira, einfach phantastisch
Der Himmel über Barcelona ist unter Tags beleidigt. Er trutzt hinter grauen Wolken. Am Abend zeigt er aber wieder sein himmelblaues Gesicht. Es hat 25 Grad und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit. Die Wettkämpfe des vorletzten Tages werden von den schweren Damen mit dem 4-kg-Hammer eröffnet. Dann steigen die grazilen Stabhochspringerinnen in den Endbewerb ein. Mitten drin Kira Grünberg. Sie bietet gleich zu Beginn ein Gastritisfeeling und reißt die Einstiegshöhe von 3,80 m zwei Mal. Im dritten Versuch gelingt der Sprung. Dann holt uns Kira aus dem befürchteten Tränental und führt uns in lichte Höhen. 3,95 m und 4,05 m in im ersten Versuch. Damit liegt sie auf dem phantastischen neunten Platz. Vorher war sie in der Startlist der zwölf Finalistin mit 4,05 m als Letzte gereiht. Dann kommt der Knaller. Kira schafft auch die 4,15 m im ersten Versuch. Nochmals und wieder österreichischer U20-Rekord. Einstweilen entwickelt sich der Wettkampf zum Thriller. Kiras Gegnerinnen reißen nach der Reihe bei 4,15 m. Dann liegt die Latte auf 4,20 m. Jetzt bräuchten wir eine Standleitung in den Himmel. Leider hebt dort niemand ab. Der zweite Sprung geht sich für Kira nur knapp nicht aus. Nur drei Springerinnen kommen höher als 4,20 m. Kira Grünberg wird Vierte. Die Leistung spricht für sich und braucht keine weiteren Vokabeln aus dem Superlativlexikon. Sie ist einfach phantastisch.

Nochmals stolz!
Um 20.15 Uhr werden wir nochmals stolz. Nikolaus Franzmair und Dominik Stadlmann haben sich gestern für den Zwischenlauf qualifiziert und stehen neuerlich für die 800 m auf der Bahn. Und sie liefern wieder eine Leistung der Sonderklasse.
Dominik ist von Beginn an im vorderen Drittel dabei. Schon nach 250 m ist es mit der Gemütlichkeit im Feld vorbei, und es kommt in der Kurve zum Gedränge. Dominik kommt aus dem Rhythmus und durchläuft die 400-m-Marke als Letzter. Nach 500 m werden seine Schritte länger und sein Tempo schneller. Er beginnt von hinten zu attackieren. Platz um Platz holt er auf, fightet auf der Zielgeraden um jeden Zentimeter und holt sich den fünften Platz. Welch großartige Leistung für Dominik, der noch gar nicht zur Kategorie der Junioren gehört.

Nikolaus erwischt ein schnelles Rennen, das keine Langzeitmeditation zulässt. Niki hält es wie gestern beim Vorlauf. Er bleibt anfangs kräftesparend als Schlusslicht auf Tuchfühlung mit dem Feld. Das Vertrauen in seinen langen Endspurt lässt ein Abwarten zu. Als vorne die Post abgeht, mobilisiert er rechtzeitig sein Speedvermögen. Und sein Fight auf der Schlussgeraden ist sehenswert. Neuerlich eine Zeit unter 1:50 Minuten für den U18-Athleten. Eine Spitzenleistung.

Keine Märchenstunde
Die 4 x 400-m-Staffel wird für den Start abgemeldet. Dadic ist verletzt und Tschann hat in ihren vier Läufen viel Substanz gelassen. Eine Placebostaffel ohne vollfitte Athletinnen hat keinen Sinn. Wir schweben auch so auf Wolken.

Die Weltmeisterschaften sind für die österreichische Mannschaft zu Ende. Es waren die erfolgreichsten der ÖLV-Geschichte. Ein vierter Platz, österreichische Rekorde, fünf Halbfinalteilnahmen und mehrere persönliche Bestleistungen hat niemand erwartet. Hätte das jemand prognostiziert, wäre er als Nachfolger der Gebrüder Grimm bezeichnet worden.

 

Herbert Winkler | 14.07.2012

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