U20-WM: Innenansichten aus Barcelona (Donnerstag)

Wie jeden Morgen herrscht im Mediencenter reger Betrieb. Etwa 60 Journalisten aus aller Welt liefern Berichte und Bilder an Zeitungen und Agenturen in ihrem Heimatland. Für Österreich ist Rene van Zee vor Ort. Er holt nach den Wettkämpfen die ersten Stellungnahmen unserer AthletInnen ein und korrespondiert mit Andreas Maier in Wien. Ein eingespieltes Team. Viele Journalisten schreiben nur von den Siegern und den vorderen Rängen. AthletInnen, die hinten rangieren, haben für sie in der Fauna der Athletik nur den Stellenwert von Wimpertierchen. Verständlich, aber auch schade! Schaut man sich an, wie sehr sich auch die Ausgeschiedenen freuen, wenn sie eine persönliche Bestleistung oder einen Landesrekord aufstellen, relativiert sich ohnedies alles, was die meisten Berichterstatter wichtig finden.

Guter Auftakt bei Stabhoch …
Für Österreich geht es um 9.30 Uhr los. Kira Grünberg steht im Stabhochsprungbereich unterm Sonnenschirm, Vater und Mama Grünberg sitzen auf der Tribüne in der prallen Beleuchtung. Es wird auf zwei Anlagen gesprungen. 14 Schritte braucht Kira bis zum Absprung und überquert im ersten Versuch ganz sicher die 3,85 Meter. Bald biegt sich das Glasfiber erneut und Kira springt über 3,95 Meter.

… und im Siebenkampf
Dann richtet sich der Fokus unserer Betrachtungen ganz auf den Siebenkampf-Einstieg von Ivona Dadic. Sie wird hier als Favoritin gehandelt und findet sich mehrfach mit Bild in den Pressemappen. Schon beim Frühstück bekam sie von vielen esoterische und psychodynamische Energie zugeführt. Das E-Werk von Barcelona verzeichnete daraufhin hohe Strom-Amplituden. Mit dem 100-m-Hürdenlauf wird der Mehrkampf eröffnet. Ivona ist im zweiten Lauf, der vielen Glück bringt. Sechs der sieben Teilnehmerinnen laufen persönliche Bestzeiten. Auch Ivona. Sie erreicht 14,55 Sekunden und damit vorerst den 20. Platz.

FINALE!
Schon kommt die nächste Freude auf. Kira Grünberg holt sich Spiel, Satz und Sieg. Sie überquert 4,05 m, was persönlicher und österreichischer U20-Rekord sowie die Qualifikation für den Endbewerb bedeuten. Frithjof, der ohnedies nicht in der spaßfreien Zone lebt, wird noch lustiger.

Hochprozentig überdrüber: Einfach „Schan“
Gleich darauf gehen alle Blicke zum Start des 200-m-Vorlaufes. Sven Benning, der Rosalie trainiert, hat viele Begründungen, warum er für Rosalie den Start über die 200 m dem Weitsprung vorzieht. „Rosi ist zwar eine stabile 6-m-Springerin geworden, aber ein Weitsprungbewerb hat viele Unwägbarkeiten. Über die 200 m traue ich Rosalie ein Weiterkommen hochprozentig zu“, analysiert Sven die Lage. Rosalie selbst hat sowieso Selbstvertrauen in Überdrüberform. Sie startet als Schnellste des Feldes und hat in der Zielgeraden nur mehr zwei Gegnerinnen. Die übrigen Sprinterinnen haben gegen die Vorarlbergerin keine Chance. Sie erreicht zum zweiten Mal bei dieser WM ein Semifinale. Der Stadionsprecher hat sie ins Herz geschlossen und man hört eine halbe Minute lang nur spanische Worthülsen, in denen mehrmals der Name „Schan“ vorkommt.

Bestzeit ohne Schlepplift
Dann noch Thomas Kain im Semifinale des 400-Hürdenlaufes. Thomas wird von Jürgen Mallow trainiert. Ein Coach mit enormem Wissen, der lieber in den Kulissen als auf der Bühne agiert. Thomas bringt nochmals ein feines Rennen auf die Bahn. Er hat wieder die Innenbahn und man sieht deutlich, wie er die Läufer mit den Kurvenvorgaben „schluckt“. Eingangs der Zielgeraden fightet er gleichauf mit der Spitze um den Einzug ins Finale. Welch ein Kampf! Das gesamte Feld schwimmt auf der Milchsäure ins Ziel. Thomas gibt sich völlig aus und verbessert seine persönliche Bestzeit um 24 Hundertstel. Was für andere der Schlepplift ins Glück wäre, ist für ihn eine Enttäuschung. Nur langsam kapiert er, was er geleistet hat.

Erfolgreicher Vormittag …
Vier Bewerbe am Vormittag, viermal Erfolg. Die Mannschaft schreibt einen österreichischen Rekord, drei persönliche Bestleistungen und zwei Qualifikationen in das ÖLV-Geschichtsbuch ein. Sonja, unsere Delegationsleiterin, ist hoch zufrieden.

… aber nicht für alle
Für Psychologen sind solche Meisterschaften ein weiter Bereich für Feldforschungen. Glück und Unglück liegen eng zusammen. Die Französin Arteil ist nach dem Startschuss zum Hürdenlauf irritiert, stoppt ab, schaut den Starter an und läuft nochmals los, als die anderen schon unterwegs sind. Sie weint bitterlich, hat sie doch schon am Beginn alle Chancen für den Siebenkampf vergeben. Die Läuferin Bouanga aus Gabun wird über die 3.000 m mehrmals überrundet und mit etwa 14 Minuten Letzte des Laufes. Trotzdem freut sie sich enthusiastisch über ihre persönliche Bestzeit. Dem Publikum gefällt ihr Kampflauf, und sie bekommt viel Applaus.

Wie die Profis
Ivona steigt unterdessen kontinuierlich auf der Siebenkampfleiter hinauf. Nach dem Hochsprung ist sie 15. Rosalie Tschann läuft auch im Semifinale über die 200 m ein gutes Rennen und ist diesmal sogar zufrieden. Sie hadert erstmals nicht mit der Zeit, ist müde und froh, dass die Wettkämpfe vorbei sind. Die Eltern auf der Tribüne sind sowieso bestens gelaunt. Dass ihre Tochter zweimal bei dieser Weltmeisterschaft ins Halbfinale kommen würde, haben sie nicht erwartet.

Ivona Dadic verbessert mit einem Kugelstoß von 12,27 m weiter ihre Position im Siebenkampf. Sie hat nun 2460 Punkte rückt vom 15. auf den 11. Platz vor. Jetzt noch ein guter 200-m-Lauf und das Fundament für einen Spitzenplatz gelegt. Ivona bringt 24,46 sec. ins Ziel. Damit geht sie nach dem ersten Tag mit dem 11. Gesamtrang aus dem Stadion. Ihr Resümee über den Tag ist profi-like: „Meine Leistungen sind o.k., aber zufrieden bin ich nicht. Vom 200-m-Lauf habe ich mir mehr erwartet.“

Morgen wird sie weiter kämpfen. Mit ihr auch die 800-m-Speedys Franzmair und Stadlmann und Eva-Maria Wimberger, die in den Vorlauf der 100 m Hürden einsteigen wird.
 

Fotos von Jean-Pierre Durand, der versucht, alle österreichischen Teilnehmer in Barcelona im Bild festzuhalten!

 

Herbert Winkler | 12.07.2012

submit BugReport | Programming by Stefan Walkner 2006 | Design by RK | Impress