U20-WM: Innenansichten aus Barcelona (Dienstag)

Barcelona muss man mögen. Die Stadt bietet für jeden etwas: Kultur im Übermaß, Lebenslust und viele Sonnenstunden. Damen können hier ihren Weltschmerz durch einen Shopping-Exzess bekämpfen, und Herren finden genug Ausreden, um sich in einem der Zillionen Cafehäuser mit einem bewusstseinserweiternden Getränk zu stärken. Interessant ist auch die städtebauliche Performance. Neben Barock und Modernismus finden sich ausgefallene Architekturen. Allein die Investitionen zu den Olympischen Spielen 1992 haben Barcelona nachhaltig verschönert. Das olympische Viertel wurde gänzlich renoviert und bietet ein Schwimmbad, ein interessantes Olympiamuseum, einen Fernsehturm mit auffälliger Bauweise und das imposante Olympiastadion. Dort spielte heute auch der erste Wettkamptag für uns die Hauptrolle.

Kraftort und Refugium
Der Morgen verläuft noch im Mainstream. Katharina Meixner und Jan Siart haben sehr früh ihre Positionen im Physio-Streckbank-Bereich bezogen. Jan steht mit langem Atem und kurzem Haarschnitt für somatische Streicheleinheiten im Dienst und Kathi ist arzttechnisch ganz Ohr und Hand. Unsere medizinische Abteilung ist ein Kraftort und Refugium für das Vorher und Nachher der AthletInnen.

Ansteckende Sprünge
Während es im Stadion bereits bei den 1.500-m-Vorläufen brodelt, springt sich Lukas Wirth mit dem Stab ein. Er macht sich keinen Druck. Als Athlet aus der Noch-Jugend-Liga kann er nur überraschen. Frithjof Grünberg steht gut gestärkt in der Coachingzone. Er hat gestern gegessen, als ob in Europa eine längere Hungerperiode angekündigt wäre. Seine Laune ist für alle ansteckend. Lukas schwingt sich pünktlich um 11.05 Uhr über 4,75 m und bald darauf auch über 4,95 m. Beide Höhen im ersten Versuch. Die nächste Höhe über 5,05 m werden jedoch zum Hindernis. Lukas scheitert drei Mal. Schade. Sie hätte für das Finale gereicht. Das ist aber kein Malheur, denn Lukas wird auch die nächsten zwei Jahre bei den Junioren noch dabei sein.

Windgott der Schlüsselstellen
Während sich Sebastian Kapferer für den Start bereit macht, schleudert die Chinesin S. Liu den Speer auf eine Jahresweltbestweite von 58,47 m. Im Mediencenter wird darüber diskutiert, welche Nationen wohl mit diversen „Konfitüren“ im Dunstkreis der Sünde agieren, ohne viel geprüft zu werden. Mache Chinesinnen schauen ja wirklich … dings aus. Dann ist es soweit. Noch vor Mittag ist der Lauf über die 110 m Hürden. Sebastian wurde in den letzten der acht Vorläufe gelost. Die erste Schlüsselstelle ist gleich nach dem Start zu bewältigen. Sebastian startet mit dem „falschen“ Bein, um bis zur ersten Hürde in seinen Rhythmus zu kommen. Das geht sehr gut und Sebastian liegt das erste Drittel des Laufes im vorderen Feld. Dann macht sich der spanische Windgott wichtig, und die Läufer bekommen Gegenwind. Sebi kämpft bei den letzten drei Hürden mit dem Schrittrhythmus, touchiert die Hürden und stürmt mit 14,21 Uhr durch das Ziel. Ganz zufrieden ist er nicht, aber als er mit Hannes Achleitner seinen Lauf analysiert, ist er wieder im Lot. Hätte der Wind die Seite gewechselt, wäre eine persönliche Bestzeit heraus gekommen. Da braucht man gar kein Hexeneinmaleins.

Adrenalin am Vorabend
Mittags findet sich die Mannschaft beim Essen zusammen. Lob, Aufmunterungen und Trost gehören zum Inventarstatus im Team. Alle sind gut drauf.
Am Abend werden die Vorläufe über 400 m für Männer abgeführt. Ines Futterknecht und Carina Schrempf wären auch schon gerne heute dran. Die erste Portion Adrenalin hat den Blutkreislauf schon erreicht. Sie kommen aber erst morgen Vormittag dran.

Presto, schluchz und ganz nüchtern
Dann, noch weit vor dem Abendrot kommen Rosalie Tschann und Manuel Leitner ins Stadionoval. Rosalie startet über die 100 m, Manuel im Weitsprung. Das Stadion ist auf der Schattenseite mit Zuschauern gut besetzt. Eine motivierende Hammermusik macht Stimmung. Rosalie ist für den vierten Vorlauf gebucht. Ihr Credo ist die Quali für den morgigen Zwischenlauf. Was anderes kommt gar nicht in Frage. Sie strotzt vor Selbstvertrauen und will keinesfalls eine bemooste Leistung hinlegen. Der erste Startschuss wird Rosalies Nachbarin zum Verhängnis. Die Sprinterin aus Nigeria ist zu presto und scheidet aus. Nein, das macht eine Vorarlbergerin nicht nervös. Gleich nach dem zweiten Startschuss trommelt sich Tschann in den Lauf, bezieht den zweiten Platz und gibt den auch nicht mehr her. Das Interview nach dem Lauf beginnt mit schluchz und tränenreich. Die Eltern, die Schwester und Freundin sind aus dem Ländle angereist und jubeln auf der Tribüne. Was sollen da noch genormte Fragen, wie der Lauf war? Ich bin ja selbst ganz aufgelöst. Die nüchterne Tatsache ist, dass Rosalie morgen im Halbfinale am Start steht.

Morgen wieder vier Talente am Start
Für Manuel Leitner ist es schwerer. Schafft er auch den Einzug ins Finale? Vielleicht ist der kleine Bruder von Ja. 7,70 m wären für die direkte Qualifikation im Weitsprung zu bieten. Manuel hat eine ordentliche und durchwachsene Serie. Erster Versuch 7,04 m, zweiter 7,26 m und dritter Versuch X. Für das Finale ging sich das nicht aus. Niemand hat enttäuscht und alle haben gelernt. Morgen sind wieder vier große Talente am Start: Ines Futterknecht, Carina Schrempf, Thomas Kain und Rosalie Tschann zumindest im 100m-Semifinale.

 

Herbert Winkler

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