Innenansichten von der Team-EM aus Belgrad – Sonntag

Der Regen hat alles durcheinander gebracht. Die abgebrochenen Wettkämpfe von gestern werden heute weitergeführt. Der Dreisprung und Speerwurf der Damen werden überhaupt neu gestartet. Zu Beginn des zweiten Wettkampftages ist Belgrad noch ein Trockengebiet. Dafür brennt die Sonne vom Himmel. Die Stimmung im Team ist ausgezeichnet, und Optimismus ist die Regel. Dass es für Jennifers Sensationslauf keine Zeit gibt, ist allerdings ärgerlich.

Heilende Hände & steil bergauf
Im Zelt der heilenden Hände liegt Roland Schwarzl und lässt sich seinen Rücken behandeln. Auch Martin Gratzer plagen Rückenprobleme. Er konnte gestern nicht sein Potential abrufen, zahlte aber trotzdem mit seiner Leistung wichtige drei Punkte aufs nationale Konto ein.

Dann geht es wieder hurtig und steil bergauf. Elisabeth Pauer macht es spannend, startet mit einem ungültigen ersten Versuch, steigert sich dann und sticht im letzten Versucht 55,58 m in den Rasen. Daniela Höllwarth ist im Stabhochspringen auch eine allerhöchste Hoffnungsträgerin und enttäuscht nicht. Sie wird zweite der Himmelsspringerinnen. Somit kommen weitere 14 Punkte in zwei Bewerben dazu. Österreich festigt den dritten Nationenplatz. Nach 20 Bewerben sind wir mit 96 Punkten knapp hinter der Schweiz.

Artenschutz & Flexitarier
Dann steigt beim Hammerwerfen der Frauen auch unsere Rekordhalterin Julia Siart in den Ring. Diese Disziplin, die früher zum Artenschutzprogramm in der Leichtathletik gezählt hat, hat sich gut entwickelt. Immerhin findet das Hammerwerfen hier in Belgrad im Hauptstadion statt. Julia schleudert den Hammer auf gute 52 Meter und wird Sechste. Toll.

Roland Schwarzl ist ein Flexitarier und vielfältig einsetzbar. Er brachte in letzter Zeit Topleistungen in vielen Disziplinen. Diesmal vertritt er Österreich im Stabhochsprung. Vor der Stabhochsprungzone sammelt sich eine Fangemeinde und Roli liefert die Unterhaltung. Er überspringt 5 Meter und wird unter den Nichtzehnkämpfern Vierter.

Ein Kracher in die Euphorie
Dann kommt ein echter Kracher. 100 m Hürden für Frauen mit Victoria Schreibeis, die Grande Madame des Damenteams. Sie kommt moderat aus der Startmaschine. Dann allerdings legt sie einen Traumlauf hin. Von Hürde zu Hürde wird sie schneller, distanziert das Feld und fegt mit 13,19 sec. durchs Ziel. Spiel, Satz und Sieg. Und acht Punkte als Draufgabe. Ich freue mich sehr.
Manuel Prazak setzt die Rutschbahn in die Euphorie fort. Er, der schon einmal bei einem Team-Europacup mit einem Sturz Pech hatte, lässt diesmal keine Zweifel aufkommen. Er erkämpft den vierten Rang und das souverän.

Höflich mit Spurtkraft
Dann bereitet sich Andi Rapatz auf den 800 m-Lauf vor. Andreas ist wie immer wolkenfrei gestimmt. Seine Platzierung bei der Hallen-WM in Doha hat ihn selbstsicher gemacht. Andi reiht sich höflich in der ersten Runde in die Gruppe ein und wird auch lange nicht aufdringlich. Er vertraut auf seine Spurtkraft und hat damit recht. In einem dramatischen Finale matcht er sich mit dem Favoriten Josef Repcik und wird zeitgleich Dritter.

Nach 25 Bewerben sind wir weiter an dritter Stelle der Nationenwertung und nur einen Punkt hinter den Eidgenossen. Die nächstplatzierten Slowaken liegen bereits sechs Punkte hinter uns.

Kein Tranquilizer
Dann geht Elisabeth Niedereder auf die mühsamen Runden. Die Zeiten der Gegnerinnen lassen keinen Tranquilizerlauf über die 1.500 m erwarten. Elisabeth wechselt im Lauf flexibel ihre Positionen. Vorerst an vierter Stelle, dann am Schluss des Feldes und bald darauf Dritte. Am Ende geht die Post ab und Lissy kämpft an fünfter Position gegen das Salz der Milchsäure. Den Kampf gewinnt sie mit Mut und Leidenschaft und bringt vier Punkte nach Hause.

Nach 27 Durchgängen liegen wir nun auf dem zweiten Platz. Wer hätte das gedacht? Vor Jahren noch im Abstiegsstrudel, schweben wir im Dunstkreis einer Sensation.

Spannung, Hadern und ein Allzweckreiniger
Dann kommen spannende Momente. Gerhard Maier liefert 61,16 m im Diskus ab und Christian Steinhammer lässt uns staunen. Diesmal sind die Ausscheidungsregeln beim 3.000 m-Hindernislauf kein bewegendes Beispiel einer Themenverfehlung. Christian ist der Jüngste im Feld und zeigt kräftig auf. Nach couragiertem Rennen etabliert er sich als Fünfter im gut besetzten Feld. Er hadert noch lange, ob er nicht auch den vierten Platz erreichen hätte können.

Doris Röser sehe ich nur aus der Vogelperspektive der Pressekoje. Sie wohnt zwar hinter dem Arlberg, ist aber auch für die vor dem Arlberg unschlagbar geworden. Wie sie über die 200 m die Gegnerinnen fulminant aufrollt, hat höchstes Niveau. Lediglich die Schweizerin, die sie gestern geschlagen hat, ist schneller als Doris. Zweiter Platz und sieben Punkte.

Dann folgt ein österreichischer Sieg als emotionaler Allzweckreiniger. Ryan Moseley gewinnt über die 200 m in 21,08 sec. Phantastisch. Gestern Favorit, heute nicht. Gestern Zweiter, heute Sieger.

Marina 1 & Marina 2
Die Leistungen, die nun folgen, verwalten das Gesamtpunktekonto gut. Marina eins und Marina zwei springen vertikal und horizontal jeweils auf Platz fünf. Herausragend ist der heroische Kampf von Schurli Mlynek über 3.000 m. Als sich das Feld splittet, geht er als einziger mit dem Israeli Yossef mit. Wie bestellt, beginnt es auch diesmal zu regnen. Das Ende des Laufes sieht einen kämpfenden Georg, der in der letzten Runde noch überholt wird.

Hoffnungsmolekül in Hitchcock-Staffel
Einstweilen ist klar, dass wir weder die Schweizer noch die Kroaten beim Aufsteigen gefährden werden. Aber ein kleines Molekül an Hoffnung gibt es noch. Rapatz und Zeller sind noch für die 4 x 400 m-Staffel zu erwarten. Immer ein Leckerbissen für Hitchcock-Freunde. Laufenböck Michi und Smetana Christian, zwei Newcomer im Quartett, verlieren auf den ersten beiden Runden zwar an Boden, aber dramatisch ist das nicht. Andi Rapatz holt auf den letzten 100 Metern seiner Strecke auf, dass es mir ganz unheimlich wird. Clemens geht mit Abstand und als Dritter auf seine Stadionrunde, kämpft und schafft ein geigensattes Happyend. Die Holzerbuben haben wieder zugeschlagen. Zweiter Platz und eine Zeit von gut 3:09 Minuten.

Neuerlich zieht einstweilen ein Gewitter auf, was vollkommen wurscht ist. Die Mannschaft hat einen kräftigen Ruck nach vorne gemacht und ist – für mich sensationell – Dritter geworden.

Damit endet auch der Bericht über zwei freudvolle Tage. Aus Platzgründen.

Fotos: Willy Lilge

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Herbert Winkler aus Belgrad | 20.6.2010

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