Innenansichten von der Team-EM aus Belgrad – Samstag

Belgrad ist keine Tourismusmetropole. Ich käme nicht auf die Idee, hierher eine Städtereise zu machen. Obwohl die Stadt am Zusammenfluss von Donau und Save durchaus Charme hat. Doch die vielen Kriege haben Belgrad sehr zugesetzt. Nur wenige Häuser sind älter als 100 Jahre.

Die Leichtathletik ist in der Hitliste der Serben nicht prominent vertreten. Der Nationalsport in Serbien ist Basketball. Darin sind sie mehrfache Welt- und Europameister.

Es ist Teamtime!
Seit gestern hat es in Belgrad ein Wetter, das sich gewaschen hat. Es regnet zeitweise, als wäre die Sintflut über die serbische Hauptstadt gekommen. Im Team ist trotzdem gute Stimmung. Es ist Teamtime. Und auch Hoffnung, dass wir im Reigen der acht Nationen gut abschneiden werden. Manche träumen sogar vom Aufstieg.

Rückgrat trotz Rückenproblemen
Wie schon seit Jahren eröffnet Benjamin Siart den Punktereigen für Österreich. Leider macht ihm der Rücken zu schaffen. Die Medicalabteilung mit Andreas Kröner, Ingrid Müller und Jan Siart gibt ihr bestes. Benjamin liefert mit dem sechsten Platz drei Punkte für die Mannschaft ab. Trotz Rückenproblemen hat er Rückgrat bewiesen und die Mannschaft nicht im Stich gelassen.

Im Stadion finden sich einstweilen die Fans und Angehörigen aus ganz Belgrad ein. Das Oval war schon einmal mit über 100.000 Zuschauern gefüllt, als der Fußballverein Roter Stern Belgrad 1975 im Pokal der Pokalsieger im Halbfinale spielte. Heute ist das Stadion schon sehr vom Alter gezeichnet.

Punkte aus dem Westen
Pamela Märzendorfer, die in der Schweiz lebt, beginnt ihren Lauf sehr engagiert. 400m Hürden sind nur ihr Nebenjob. Sie ist für die Nationalmannschaft vielseitig verwendbar. Pamela kämpft couragiert und legt einen tollen Endspurt hin. Sie belegt den fünften Rang. Kompliment!

Dann geht es Schlag auf Schlag und mir entgleiten die Zeiten und Weiten. Nicht aber Doris Röser im 100m-Lauf. Sie erläuft für das Punktekonto den wichtigen dritten Platz und besiegt die Schweizerin Kambundji. Die Eidgenossen sind unmittelbare Gegner für den erträumten zweiten Gesamtrang.

Scheibe und / oder Kugel
Für Veronika Watzek ist die Welt nicht nur eine Scheibe. Darüber hat man früher viel gestritten. Heute glauben einige, dass die Erde eine Kugel sei. Veronika ist das ziemlich egal. Sie kann mit Scheibe und Kugel gut umgehen und legt heute mit dem Diskus eine phantastische Weite hin. 55,75 m, dritter Platz und sechs Punkte für Österreich. Schön, dass sie wieder im Team dabei ist.

Nach acht Bewerben liegt das österreichische Team an fünfter Stelle. Kein Haarriss beeinträchtigt die bisherigen Leistungen. Schon gar kein Ermüdungsbruch. Dass Ryan Mosley als Favorit den 100m-Lauf nicht gewonnen hat, war nicht geplant, aber verkraftbar. Dass Andreas Vojta über die 1.500 m in einem ausgeglichenen Feld zweiter wurde, ist eine nützliche Überraschung.

Unrundes Intervalltraining
Die Langstreckenlauf-Lady Andrea Mayr widmet sich wieder einmal dem Wassergraben und steuert sieben Punkte für das Republikskonto bei. Das Rennen selbst war keine Symphonie in Dur, sondern glich einem Intervalltraining, das nie rund wurde. Damit war Andrea gar nicht zufrieden.

Betina Germann lässt vergessen, dass die 400 m bei den Frauen eine Baustelle ist und liefert zwei wichtige Punkte für die Mannschaft.

Nach neun Bewerben liegen wir bereits auf dem vierten Platz.

Status der Konkurrenzlosigkeit
Dann stehen die 400 m von Clemens Zeller auf dem Zeitplan. Er hat bei solchen Bewerben den Status der Konkurrenzlosigkeit und spielt in einer anderen Liga. Wer soll ihn schlagen, wenn er voll motiviert läuft? Clemens lässt keinen Zweifel, wer auf einer Runde Stadion der Chef ist. Er gewinnt, ohne sich auszugeben souverän und liefert den ersten Sieg für Rot-weiß-rot.

Hero of the day
Gleich darauf öffnet der Himmel neuerlich seine Schleusen und lässt einen Wasserfall auf Belgrad herab. Michael Schmid geht ins 5000m-Rennen. Und das wird nicht nur eine Regenschlacht, sondern auch ein sinnliches Erlebnis. Es blitzt und donnert wie am Zweitjüngsten Tag. Michael liefert sich vorerst in einer Vierergruppe, dann mit dem Schweizer Philipp Bandi ein Rennen der Sonderklasse. Sein Kampf gegen den Schweizer Spitzenmann, gegen die Uhr und sich selbst macht ihn für mich zum Hero oft the day. Nur die Sturzflut vom serbischen Himmel verhindert eine neue Bestzeit. Wieder sieben Punkte für uns.

Nach 12 Events liegt unsere Mannschaft an dritter Stelle. Gleichauf mit der Schweiz.

Meilenstein im Regen
Dann setzt Jennifer Wenth einen Meilenstein der österreichischen Leichtathletik. Bei strömendem Regen geht, nein läuft, nein spurtet sie über die 3.000 m und reißt uns von den Sitzen. Sie bestimmt vorne das Tempo und lässt in der Schlussrunde alle Konkurrentinnen stehen. Aber wie? Selten, dass eine österreichische Läuferin derart überlegen gewann. Ich hätte jetzt gerne eine Vuvuzela, um einen ordentlichen Krawall zu machen.

Regen ist ein serbischer Patient
Da sich einstweilen der Regen als unheilbar krank erweist und sich ein Dauerregen breitmacht, werden der Stabhochsprung, das Dreispringen und der Speerwurf von der Damenabteilung abgebrochen. Sie werden morgen fortgesetzt.

Staffeln platschen über die Laufbahn
Die 4 x 100m-Staffeln platschen noch über die Laufbahn. Fehlerfrei bringen die Frauen vier und die Herren fünf Punkte und die Staffelstäbe ins Ziel. Österreich ist nach dem ersten Tag an vierter Stelle. Super!

Morgen soll abermals der Frühling eher ein Herbst sein. Es wird wieder schwer, eine trockene Sicht der Dinge zu haben. Macht nichts.

Ich freue mich schon auf weitere Kracher im österreichischen Team.

Fotos: W. Lilge
>> weitere Fotos

 

Herbert Winkler aus Belgrad | 19.6.2010

BugReport senden | Programming by Stefan Walkner 2006 | Design by RK | Impressum