Innenansichten aus Doha – Teil III, Samstag

Wieder ein prachtvoller Tag am Persischen Golf. Strahlend blauer Himmel über dem Aspire Tower, der neben dem Stadion hoch in den Himmel ragt. Der Turm hat die Form einer olympischen Fackel und ist mit 300m das höchste Gebäude in Doha. Auf halber Höhe ist außen liegend sogar ein Schwimmbad der Superlative eingebaut. Der Reichtum scheint hier grenzenlos zu sein. Wasser, Strom und die ärztliche Versorgung ist in Qatar für alle kostenlos. Eine Einkommens- oder Lohnsteuer ist sowieso unbekannt.

VIP-Tribüne in Schwarz und Weiß
In der Arena gibt es eine VIP-Tribüne, in der etliche Scheichs und andere Würdenträger mit ihren Frauen die Wettkämpfe verfolgen. Ein Bild in Schwarz und Weiß. Die Männer tragen einen blütenweißen, knöchellangen Kaftan und ein Kopftuch mit Kordel. Die Frauen sind in bodenlange schwarze Mäntel gehüllt. Manche haben dazu einen schwarzen Schleier. Einige auch eine Burka.

Wolkenlos in der Aufwärmhalle
Heute sind 13 Finali auf dem Plan. Auch die Mehrkämpfer küren ihren Meister. Bryan Clay führt nach dem ersten Tag mit 3.549 Punkten. Roland Schwarzl, unser Meister, würde bis jetzt gute Figur machen. Mit seinen 3.306 Punkten, die er zuletzt ablieferte, wäre er hier nach dem ersten Tag an siebenter Stelle. Warum er hier nicht starten durfte, kann man nur in Delphi erfragen.
Um 9.30 Uhr treffe ich Andi Rapatz in der Aufwärmhalle. Er ist wie immer wolkenlos gestimmt. Wenn überhaupt Wolke, dann Nummer sieben. „Ich bin mental gut drauf und fühle mich auch körperlich gut“, flüstert er mir zu. Nach seinem letzten Auftritt ist heute im Semifinale vieles möglich.

Ein Lauf wie ein Mentholzuckerl
Der Lauf gestaltet sich auch äußerst hoffnungsfroh. Andreas läuft gleich nach dem Start an die zweite Position und hält diese auch 500m lang. Dann wird ein Spurt angezogen und das Läuferfeld kommt durcheinander. Andi spurtet mit und geht als Vierter in die Schlussrunde. Das Tempo wird immer höher. Andi fightet mit, kann aber nicht mehr zulegen. Er reißt aber auch nicht ab. Der Kärntner geht als sechster über die Ziellinie. Er wollte mehr und wird noch Zeit brauchen zu realisieren, was er in Doha erreicht hat. Nämlich den Einzug in die Weltklasse. Bald findet er wieder seinen unschlagbaren Humor: „Sind sie zu stark, bist Du zu schwach“, beschreibt er sich ironisch. Nur echte Kenner von Mentholzuckerln wissen, was er meint.

Asien wird Afrika
Einstweilen ist auch der Aspire Dome gut gefüllt. Anders als ich es von Europa kenne, sind die Zuschauerränge aber nicht mit Schülern und Kindergartenkindern gefüllt. Ich schätze etwa 6.000 Besucher. Vormittag ist Tausend-und-eine-Nacht vorherrschend. Die Qataris in ihrer Landestracht füllen die Ränge. Nachmittag sind hunderte Äthiopier auf den Rängen und machen Asien zu Afrika. Auch eine Fangruppe aus Österreich ist hier, und die österreichische Fahne hängt vom Zuschauerrang. Ihnen gebührt hoher Respekt.

Glück-Lose
Die Meisterschaft hat nicht nur Glückskinder und Sieger. Die Pechvögel sind auch da. Gestern stürzte die äthiopische Läuferin Kalkidan Gezahegne im Vorlauf über 1.500 m und verlor 20 Meter auf das enteilende Feld. Heute verlor beim 4 x 400m-Vorlauf ein russischer Staffelmann das Holz und 25 Meter auf die Konkurrenten. Die zierliche Afrikanerin schaffte mit toller Aufholjagd wieder den Anschluss an das Feld und siegte sogar. Die russische Staffel schied glücklos aus. Die Tränentäler und die sonnigen Hochebenen sind in Doha knapp beisammen.

Gleißendes Licht auf abwesenden Siebenkämpfer
Einstweilen haben auch die Mehrkämpfer ihre sieben Disziplinen absolviert. Bryan Clay hat seine Poleposition gehalten und wird mit 6.204 Punkten Weltmeister. Keine Überraschung. Roman Sebrle, schon als Aktiver eine Legende, landet mit 6.024 Punkten und Saisonbestleistung an fünfter Stelle. Das rückt Roland Schwarzls heurige Bestleistung von 6.065 Punkten in ein gleißendes Licht. Schade, dass er nicht dabei sein durfte.

Optimismus für Ryan
Um 16.20 Uhr wird es für uns wieder spannend. Die Semifinali im 60m-Lauf der Männer beginnen. Ryan Moseley ist für den dritten Lauf gelost. Rana Reider glaubt an den Aufstieg ins Finale, und ich weiß nicht, ob das Zweckoptimismus ist. Rene van Zee, Leichtathletik-Insider, für die APA in Doha und mein Nachbar auf der Tribüne, ist viel vorsichtiger mit seiner Prognose: „Es wird ganz schwer für Ryan“, meint er kryptisch.
Und es ist dann auch schwer. Vorerst wird ein Fehlstart produziert. Sekunden des Bangens. Ryan war es nicht. Sein Nachbar von den niederländischen Antillen muss die Konkurrenz verlassen. Dann ein korrekter Start. Moseley kommt gut aus der Maschine und liegt nach einem Drittel der Strecke in vorderster Reihe. Dann ziehen fünf Speedys an ihm vorbei. Ryan wird mit 6,71 Sechster. Er hat sich mehr erwartet und verlässt frustriert die Laufbahn.

Damit sind wir nun nicht mehr im Stadionrund vertreten. Das Unglück ist aber gut überschaubar. Wer vor dem Abflug nach Qatar von zwei Semifinaleinzügen gesprochen hätte, wäre als mutiger Optimist bezeichnet worden. Jetzt ist es Realität. Wer das für die Zukunft gering schätzt, muss als mutiger Pessimist bezeichnet werden.
 
Fotos: GEPA pictures / Mario Kneisl
 

Herbert Winkler aus Doha | 13.3.2010

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