Innenansichten aus Doha – Teil II, Freitag

Schon am Morgen gibt die Sonne in Doha eine Galavorstellung. Sie brennt vom Himmel und ist die Wiedergutmachung für den Wintereinbruch in der Heimat. Auf der Fahrt zur Wettkampfarena sehe ich die fatale Entwicklung der reichen Hauptstadt. Die Randbezirke von Doha sind eine einzige Baustelle. Hochhäuser, Reihenhäuser und Apartments werden aus dem Wüstenboden gestampft. Zweifelhafte Modernität, viel Beton, wenig Grün und null Flair prägen die Neubauten. Good old Europe bleibt mein Favorit.

Modernität, zweifelhaft und imponierend
Im Aspire Dome ist die Modernität allerdings von großer Nützlichkeit. Zwei riesige Videowalls, elektronische Anzeigetafeln und die mobilen Kameras, die wie Miniseilbahnen durch die Halle schweben, gestalten das Zuschauen zu einem sinnlichen Erlebnis. Der Aufwärmbereich für die AthletInnen ist ein Indoor-Fußballplatz mit Kunstrasen, einem Wurfkreis und Laufbahnen. Imponierend.

Geduldiges Papier
Einstweilen ist auch Edi Holzer in Qatar eingelangt und stimmt Clemens Zeller auf seinen Vorlauf ein. Nach der Papierform ist Clemens für seinen Heat Drittgereihter. Papier ist allerdings geduldig. Clemens startet engagiert und druckvoll. Die anderen aber auch. Noch dazu haben die schnelleren Läufer die kurventechnisch günstigeren Außenbahnen gezogen. Das macht sich dann im Lauf auch bemerkbar. Clemens forciert auf der Geraden das Tempo, kommt an seine Konkurrenten heran, aber in der Kurve nicht vorbei. Er kommt als Vierter ins Ziel und ist lange nicht ansprechbar.
„Ich glaube, die Weltmeisterschaften wollen mich nicht“, resümiert er ironisch. Der Frust über den Lauf macht ihn unnahbar.

In der Tiefgarage trainiert?
Es geht auf Mittag zu, und ich befürchte, dass Göttin Fortuna heute nichts für uns über hat. Als nächstes geht Andreas Rapatz in seine mission impossible. Er war wochenlang verletzt und kämpfte dazu noch mit bösen Viren. In seinem Vorlauf sind zwar schlagbare Gegner, aber sicher keine karitativen Typen. Alle wollen ins Semifinale. Beim Einmarsch in die Arena sieht Andi bleich aus, als hätte er hauptsächlich in einer Tiefgarage trainiert.
Ich irre mich gewaltig!

'Andreasch Rapatsch' kontert gründlich
Andreas geht gleich na'ch dem Start an die zweite Position. Das Feld fädelt sich auf wie eine Karawane, und Andi bleibt dem Führenden dicht auf den Fersen. Noch einmal überkommen mich Zweifel. Auch in Turin bei der Hallen-EM war Andreas mutig im Vorderfeld gelaufen und hat sogar die Gruppe angeführt. Dann aber ist er … - heute ist es ganz anders. Als auf den letzten 200 Metern der Dritt- und Viertgereihte merken, dass vor ihnen die Post abgeht, drücken sie nochmals tüchtig aufs Tempo. Rapatz kontert und zwar gründlich. Er läuft souverän und locker als Zweiter ins Ziel. Ich bin perplex und nicht nur ich. Auch der Stadionansager spricht mehrmals von Andreasch Rapatsch.

Dann rennt Ryan
Gänzlich perfekt wird die Freude dann am Nachmittag. Die Vorläufe über die 60m stehen auf dem Programm. Eine der Königsdisziplinen einer Hallen-WM. Die ersten Vorläufe werden von den üblichen Verdächtigen gewonnen: Chambers, Rodgers, Mariano. Im fünften Lauf richtet sich auch Ryan Moseley die Startmaschine her. Etliche Experten und vor allem sein Trainer Rana Reider trauen ihm den Aufstieg in das Semifinale zu. Olaf Brockmann, Sportjournalist und Leichtathletik-Guru, studiert ständig die Vorlaufzeiten und ist dann sicher, dass Ryan aufsteigen wird. Er wird recht behalten.

Ein magischer Augenblick
Der Startschuss fällt, und Moseley zieht wie eine Rakete aus der Maschine. Nicht nur das. Er kommt bestens ins Rennen, bleibt vor dem Feld und gewinnt seinen Vorlauf mit 6,76sec. Für mich ein magischer Augenblick. Wann gab es zuletzt einen Österreicher, um den sich plötzlich Kommentatoren und Zeitungsleute reißen? Ryan erledigt seine Pflichtinterviews und zieht sich wieder seine Kopfhörer über. Er braucht den Rummel nicht.

Der Tag hatte viel Licht und kaum Schatten. Zwei Athleten kämpfen morgen im Semifinale weiter. Großartig. Gehofft hatten wir es alle. Schön, dass es Realität geworden ist.

Fotos: GEPA pictures / Mario Kneisl


 

Herbert Winkler aus Doha | 12.3.2010

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