Leichtathletik-WM Berlin, 2. Tag: Lieber Bolt, wie schnell geht’s noch?

Leichtathletik-WM, 2. Tag: Usain Bolt sprintet 100m in fabelhaftem Weltrekord von 9,58 Sekunden. Knaller zum Auftakt der WM in Berlin.

Usain Bolt, Superman & Showman. Bei der Leichtathletik Weltmeisterschaft in Berlin knallte er unglaubliche 9,58 Sekunden über 100 Meter auf die blaue Bahn. Weltrekord. Berlin hatte den erhofften und für den weiteren Verlauf fast notwendigen Auftakt-Knaller zu feiern. Exakt ein Jahr nach seinem damals ebenso unglaublichen 9,69-Sekunden-Lauf zu Olympiagold in Peking hat Bolt einen weiteren Meilenstein gesetzt. Die Frage, was bei Usain Bolt Realität ist, und was Legende, ist damit aber noch nicht beantwortet.

„9,58 ist etwas Besonderes, da bin ich stolz drauf“
Dahinter holte Titelverteidiger Tyson Gay aus den USA in nationalem Rekord von 9,71 Sekunden Silber vor Asafa Powell, Jamaika, der in 9,84 Sekunden seinen dritten Platz von der WM in Osaka wiederholte. Bolt über sein Rennen: „Ich hatte einen guten Start. Bei 50 Metern wusste ich, dass es für die anderen schwer wird, mich zu schlagen, weil der Schluss meine stärkste Phase ist. Auf 9,58 bin ich sehr stolz, das ist etwas Besonderes.“ Während sich Bolt und Powell fast diebisch freuten, wie zwei kleine Buben über einen gelungenen Streich, wirkte Tyson Gay etwas säuerlich, wenn er sagte: „Ich habe mein Bestes gegeben, aber Usain war phänomenal heute.“

Diesmal ist er durchgelaufen
41 Schritte mit einer durchschnittlichen Länge von 2,43 Metern braucht Bolt, um die klassische Sprintdistanz zu durchmessen. 43,902 km/h war seine Höchstgeschwindigkeit beim Weltrekord in Peking, diesmal wird er wohl 44 geschafft haben. Im Gegensatz zum karnevalesken Olympia-Auftritt mit offenem Schuhband und wilden Siegesgesten auf den letzten 20 Metern des Laufs, zog Bolt das Rennen in Berlin voll durch. Nur kurze Seitenblicke am Schluss erlaubte er sich.

Follow-Up der Legendenbildung
Usain Bolt will eine lebende Legende werden. In Peking hat er den ersten Schritt dazu gemacht. Es gibt kaum einen besseren Platz für ein Follow-Up als das Berliner Olympiastadion. Denn am selbst proklamierten Weg zum Heldentum läuft er nicht gegen Tyson Gay, Asafa Powell oder Dwain Chambers. Er bestreitet Fernduelle gegen Leute wie Jesse Owens, der an gleicher Stelle im Jahr 1936 vier Olympische Goldmedaillen gewann. Als Schwarzer im damaligen Reich der Arier, unter den Augen von Adolf Hitler. Damit ist Owens zur Legende geworden. Bolt legt seine Rolle als Showstar an. Durchaus passend ins aktuelle Umfeld. Er elektrisiert. Niemand kann derzeit Vergleichbares für die Leichtathletik leisten, zumindest für die kommerzielle Seite als Weltsportart und Zweig der Unterhaltungsindustrie. Ob Bolt zur „Legende“ wird, entscheidet sich aber nicht auf der Laufbahn allein. Es gehören Persönlichkeit und historisches Glück dazu. Er selbst sagt: „Zwei Saisonen machen dich nicht zur Legende. Es geht nur mit Erfolgen und Arbeit Jahr für Jahr. Daran arbeite ich.“ Einstweilen darf er sich über Status- und Finanzgewinn freuen. 60.000 Dollar für den Sieg, 100.000 Dollar für den Weltrekord streift er ein. Vorbehaltlich der üblichen Ratifizierungsprozesse, wird von der IAAF iin einem solchen Fall hinzugefügt.

Nervensache Semifinale
Eine Zitterpartie war das Semifinale gut zweieinhalb Stunden davor. Bolt wollte es besonders gut machen, und produzierte einen Fehlstart. Oder war es Absicht? Sogar das traut man ihm zu. „Ich war etwas zu aufgeregt, weil mich im Training die anderen am Start schlagen.“ Der Brite Tyron Edgar ließ sich verunsichern, machte den zweiten Fehlstart und musste das Stadion verlassen. Bolt machte auf cool, legte den Finger auf den Mund, um das Publikum ruhig zu stimmen. Schon kniend streckte er seine Zeigefinger nochmals gen Himmel, wie Antennen zum lieben Gott, der heute auf ihn, und nur ihn, ganz besonders schauen soll. Mit Reaktionszeit von 0,135 Sekunden kam Bolt aus den Blöcken, sprintete 60 Meter und schaute dann, Kräfte sparend weiterlaufend, nach links und rechts, als wollte er allein mit seinem Blick eine nicht zu durchdringende Berliner Mauer für die nachkommenden Läufer aufbauen. 9,89 Sekunden. Davor, zum Mittagessen, hat er selbstverständlich wieder viel Hühnernuggets geschmaust, so erzählte er.

Silber im Minutentakt für Deutschland
Die Stimmung im Olympiastadion kochte schon vor dem 100m-Finale über. Zwei Silbermedaillen für Gastgeber Deutschland im Minutenabstand brachte die Lautstärke in höchste Stufen. Zuerst kämpfte sich Jennifer Oeser im 800m-Lauf des Siebenkampfs trotz Sturz vom dritten auf den zweiten Platz nach vor. Während der Ehrenrunde der Vielseitigen mit Siegerin Jessica Ennis (6731 Punkte) ging der Kugelstoß in die letzte Runde – und Nadine Kleinert feierte mit 20,20m Silber hinter der Titelverteidigerin und Olympiasiegerin Valerie Vili aus Neuseeland (20,44m).

WM-Song des Tages: „Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge“
Siebenkämpferin Linda Züblin hatte neuen Schweizer Speerwurfrekord von 53,01 Meter aufgestellt und mit viel Jubel und freundlichen Worten das Stadion für sich gewonnen: „Bei diesem Publikum muss so etwas ja gelingen!“ Zum Gaudium der offiziell 51.113 Zuschauer wurde der allseits bekannte Zeichenfilm-Soundtrack eingespielt. Es wurde geklatscht wie bei der Tritsch-Tratsch Polka zum Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.

Weltmeister des 2. Tages:
20km Gehen Frauen: Olga Kaniskina (RUS) 1:28:09 Stunden
Siebenkampf: Jessica Ennis (GBR) 6731 Punkte (100mH 12,93sec (-0,4) – Hoch 1,92m – Kugel 14,14m – 200m 23,25sec – Weitsprung 6,29m (-0,8) – Speer 43,54m – 800m 2:12:22min
Kugelstoß Frauen: Valerie Vili (NZL) 20,44 MEter
100m Männer: Usain Bolt (JAM) 9,58 Sekunden (Wind +0,9m/s)

Fotos: Plohe, Seiko

Andreas Maier | 16.8.2009

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