Die Nacht von Flandern – 100km-Weltmeisterschaft in Belgien

Ein Bericht von Mannschaftsführer Reinhold Straßer vom 100km World Cup in Torhout/BEL am 19./20.Juni:

Donnerstag, 18. Juni: Um 5 Uhr fahren Herbert Lehner, sein Bruder Günther, meine Frau
Regina, unser Sohn Colin und ich mit dem Bus (ein Danke an die Fahrschule Doppler) Richtung
Belgien. Die ersten 500km sitze ich am Steuer, dann übernimmt Herbert.
Planmäßig erreichen wir gegen 14 Uhr unser Hotel in Zedelgem, nur 8km von Torhout entfernt.
Wir treffen den Rest des Teams. Sie sind bereits einen Tag früher mit dem Flugzeug angereist.
Und so sieht unser Team aus:
Athleten: Regina Straßer (OÖ/37), Sigrid Antoniuk (St/41), Herbert Hartl (W/51), Günther Lehner
(OÖ/40), Dominik Pacher (K/25) und Rainer Predl (NÖ/19).
Betreuer: Reinhold Straßer, Herbert Lehner, Christine Aigner und Manfred Lackner
Es hat um die 22°C. Gleich um 14.30 Uhr machen wir eine Teambesprechung. Die Zimmer sind
in Ordnung und alle sind sehr positiv eingestellt.
17.00 Uhr: Technisches Meeting. Ich erfahre noch wichtige Details und bei der Auszahlung des
Travel Grant bin ich positiv überrascht. Nach Abzug der Kosten für die Unterbringung bleibt sogar
noch was übrig, um die Reisekosten etwas zu reduzieren.
18.30 Uhr: Wir marschieren durch Torhout auf den Stadtplatz und werden dort auf einer Bühne
vorgestellt. 30 Nationen sind am Start.
19.30 Uhr: Endlich geht´s zur Pasta Party. Damit die Essensausgabe nicht zum Gemetzel wird,
werden die Nationen in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen. Gut so! Nach Australien sind wir
dran. Eine halbe Stunde später verlassen wir die Halle, in der am Samstag die Siegerehrung
stattfinden wird.
21.00 Uhr: Ein Teil geht früh schlafen und der Rest begibt sich noch in den hoteleigenen
Gastgarten.
Freitag, 19. Juni: Herbert Lehner und ich gehen vor dem Frühstück eine Stunde laufen und
treffen dann gegen 8 Uhr die Teammitglieder beim Frühstück. Dieses ist ausgezeichnet und alle
scheinen einen gesunden Appetit zu haben. Um 9.30 Uhr fahre ich mit Colin nach Blankenberge.
Nach dem Besuch des Serpentariums (Schlangen, Spinnen und anderes Getier) gehen wir entlang
des Strands und sammeln einige Muscheln.
12.30 Uhr: Wir nehmen unser Mittagessen im Restaurant gegenüber unseres Hotels ein. Die
hausgemachte Lasagne schmeckt lecker ist aber derart scharf, dass mir die Schweißperlen im
Gesicht stehen. Das gute belgische Bier hilft etwas bei der Kühlung.
14 Uhr: Am Nachmittag steht Faulenzen auf dem Programm. Die Getränkeflaschen und feste
Verpflegung wurden bereits am Vormittag gefüllt und beschriftet.
17.30 Uhr: Gemeinsam gehen wir nochmals alles durch und dann fährt das Betreuerteam mit den
Getränken und der Verpflegung nach Torhout um diese dort abzugeben. Der Veranstalter
transportiert diese dann zu den Verpflegungspunkten A bis E.
Christine und Manfred bleiben gleich in Torhout und gehen zu den ihnen zugewiesenen Punkten. D
und E liegen ja nur 1,5km vom Start entfernt. Herbert Lehner und ich fahren zurück ins Hotel und
holen unsere Athleten ab.
19 Uhr: In der Nähe des Starts lassen wir unsere sechs WM-Teilnehmer aussteigen. Herbert,
Colin und ich fahren zu Herberts „Stützpunkt“ (B) nach Lichtervelde, ca. 5km entfernt vom Start.
Eilig geht es zurück nach Torhout und wir stellen den Bus am Bahnhof ab. Die Strecke ist bereits
abgesperrt und so müssen wir einen Kilometer laufen, um unseren Läufern noch die
Trainingsanzüge abzunehmen. Es hat ja keine 20°C und ein Auskühlen vor dem Start wäre nicht
gut.
20 Uhr: Der Startschuss ertönt. Mit den 100km-Läufern starten auch noch Marathon- und 10km-
Läufer. Ein riesiges Starterfeld. Allein an der Welt- und Europameisterschaft nehmen ca. 250
Frauen und Männer teil.
Die erste Runde ist mit 22,9km die längste. Danach folgen vier Runden zu je 19,3km. Nach
zwanzig Minuten haben Colin und ich unseren „Stützpunkt“ A gefunden. Die vor dem Start
abgegebenen Getränke und Happen sind angekommen und wir platzieren sie auf dem Tisch mit
der Aufschrift „AUT“. Kurze Telefonate mit unseren Betreuerkollegen bestätigen mir, dass auch
dort alles in bester Ordnung ist.
Die Zeitangaben erfolgen ab jetzt nach der Renndauer!
1:28 Std: Kurz nach den ersten Marathonläufern kommt der Führende des 100km-Bewerbs
vorbei. Es ist der Brasilianer Marcio De Oliveira. Ganz schön schnell für die ersten 23 Kilometer!
1:46 Std: Herbert Hartl und Günther Lehner laufen das erste Mal an unserer Verpflegungsstelle
vorbei. Sie bekommen ihre Getränke und sehen sehr gut aus.
1:52 Std: Dominik und Rainer kommen mit etwas Verspätung, aber das ist mit lieber als anders.
Nur nicht überpacen und dann aufgeben müssen. Die Mannschaftswertung ist für uns sehr wichtig.
2:02 Std: Regina und Sigrid sind etwas schneller als geplant. Regina verlangt nach
Taschentüchern, da sie Bauchschmerzen hat und Toiletten entlang der Strecke sehr rar sind (einer
der ganz wenigen Schwachpunkte dieser Veranstaltung).
2:41 Std: Der Brasilianer De Oliveira flitzt wieder als Erster an uns vorbei. Die Marathondistanz
liegt bereits hinter ihm. Ob er dieses Tempo durchhalten kann? Seine Verfolger haben schon
etwas Rückstand. Zwei Japaner, ein Schwede und zwei Italiener machen einen sehr guten
Eindruck. Titelverteidiger Giorgio Calcaterra ist auch unter ihnen.
3:13 Std: Günther und Herbert haben jetzt auch die Marathondistanz hinter sich. Beide laufen
recht locker und könnten 7:40 Stunden unterbieten. Aber die Nacht ist noch lang. Mittlerweile ist
es auch dunkel und die Temperaturen liegen bei 14°C.
3:28 Std: Dominik und Rainer sind weiterhin etwas langsamer als geplant. Aber es geht ihnen
gut. Für unsere beiden Youngsters heißt es vor allem Erfahrung zu sammeln.
3:46 Std: Sigrid und Regina kommen vorbei. Regina kämpft mit Verdauungsproblemen. Zweimal
musste sie in die Büsche. Sigrid auch einmal. Ist vielleicht die Lasagne zu Mittag schuld?
3:58 Std: Immer noch führt der Brasilianer das Feld an. Viereinhalb Minuten beträgt sein
Vorsprung bereits. Calcaterra hat viele Minuten eingebüßt und liegt nur mehr an 32. Stelle. Sein
Rückstand beträgt bereits 13 Minuten.
4:38 Std: Herbert hat sein Tempo erhöht und liegt jetzt fast fünf Minuten vor Günther. 61,5km
sind geschafft, aber die Sache kann noch richtig anstrengend werden.
5:04 Std: Für Dominik und Rainer ist jetzt eine Zeit unter 8 Stunden nicht mehr möglich.
Trotzdem sagen sie mir, dass sie in der vierten Runde etwas zulegen wollen.
5:22 Std: An der Spitze hat sich einiges getan. Der führende Brasilianer ist zurückgefallen. Zwei
Japaner, der Schwede Jonas Buud und der Italiener Marco Boffo liegen innerhalb von eineinhalb
Minuten. Calcaterra hat sich zwar erholt, liegt aber sechs Minuten hinter den Medaillenrängen.
5:34 Std: Sigrid kommt vor Regina daher. Es geht nicht mehr so leicht, jetzt heißt es kämpfen.
5:36 Std: Regina hat knapp zwei Minuten Rückstand auf Sigrid. Der Grund sind nicht weniger als
sieben WC-Pausen. Das dürfte auch Kraft kosten. Aber ich bin mir sicher, dass sie finishen wird.
Sind ja „nur“ 100 Kilometer.
6:08 Std: Herbert begibt sich auf seine letzte Runde. Auch ihm merkt man jetzt die Strapazen
deutlich an. Er muss jetzt fighten.
6:19 Std: Auch für Günther beginnt das letzte Fünftel. Er hat sich in den letzten beiden Stunden
mehrmals übergeben müssen. Doch ans Aufgeben denkt er natürlich nicht.
6:38 Std: Rainer und Dominik haben soeben ihre schnellste Runde absolviert. Hoffentlich rächt
sich das nicht auf den letzten Kilometern.
6:40 Std: Der neue Weltmeister läuft über die Ziellinie. Der Japaner Yasukazu Miyazato holt sich
Gold. Die Uhr zeigt 6:40:44. Silber holt sich der Schwede Jonas Buud mit 6:41:49 und Bronze
geht an den in der letzten Runde überragenden Titelverteidiger Giorgio Calcaterra (6:42:04).
Seine letzte Runde war um sechseinhalb Minuten schneller als die des Siegers.
7:23 Std: Regina lief die vierte Runde wieder schneller als die dritte und ihre Probleme sind jetzt
nicht mehr so groß.
7:25 Std: Sigrid liegt immer noch gut. Jetzt hat sie aber Probleme mit einem Knie und auch der
Kreislauf schwächelt etwas. Sie versichert mir aber, dass sie ins Ziel laufen wird.
7:37 Std: Die US-Amerikanerin Kami Semick holt sich die Goldmedaille im Frauenbewerb. Mit
sehr guten 7:37:21 ist sie an diesem Tag bzw. in dieser Nacht nicht zu schlagen. Irina
Vishnevskaya aus Russland (7:46:24) und Monica Carlin aus Italien (7:53:58) dürfen sich
ebenfalls über Edelmetall freuen.
7:54 Std: Herbert hat auf der letzten Runde noch sehr leiden müssen und einige Minuten
eingebüßt. Mit 7:54:16 darf er aber durchaus zufrieden sein. Rang 41 in der WM-Wertung und
Rang 29 in der EM-Wertung.
7:57 Std: Auch Günther schafft es unter acht Stunden. Nach einer guten letzten Runde darf er
sich über eine persönliche Bestleistung freuen. 7:57:47 – Rang 43 WM und Rang 31 EM.
8:25 Std: Müde und abgekämpft ereichen Rainer und Dominik das Ziel. 8:25:01 – nicht die
erhoffte Zeit, dafür ein solider Auftritt bei diesem Großereignis. Eine sehr wertvolle Erfahrung für
die beiden großen Hoffnungsträger des österreichischen Ultralaufsports.
9:09 Std: Regina hat in der letzten Runde zusetzen können und ist mit 9:09:44 zufrieden. Zu
groß waren die Probleme im mittleren Renndrittel und Bergamo (World Challenge im 24-
Stundenlauf) liegt ja auch nur sieben Wochen zurück. Rang 27 WM und Rang 18 EM.
9:30 Std: Sigrid hat ihren Körper ins Ziel gequält. Auch sie war ja schon in Bergamo dabei und so
gesehen sind die 9:30:03 bei ihrem ersten echten 100er aller Ehren wert. WM-34. und EM-23. .
Als Sigrid ins Ziel einläuft, sind auch die restlichen Betreuer schon bei uns. Sie alle haben einen
ganz tollen Job gemacht. Und nur so war es möglich, dass alle sechs eine gute Leistung erbringen
konnten.
Mit unserem Bus fahren wir zurück ins Hotel. Da es um 6:15 Uhr noch kein Frühstück gibt, gehen
wir auf unsere Zimmer. Müde sind wir ja alle. Aber auch die Schmerzen sind bei einem Teil des
Teams ziemlich groß. Das Frühstück lassen sich einige von uns entgehen. Irgendwie auch
verständlich. Mir schmeckt es wieder ausgezeichnet und je mehr zeit vergeht, umso mehr freue
ich mich über die erbrachten Leistungen. Immerhin haben wir alle sechs Kollegen ins Ziel
gebracht. Gar nicht so selbstverständlich, denn die Ausfallsquote war sehr hoch (30%). Die viele
Arbeit im Vorfeld hat sich somit auch für mich gelohnt.
15 Uhr: In der Sporthalle „De Mast“ beginnt die Siegerehrung. Wir stoßen mit einem guten
belgischen Bier auf unsere Leistungen an. Alle Medaillengewinner bekommen den verdienten
Applaus. Die Mannschaftswertung bei den Herren haben die Japaner für sich entscheiden können.
Bei den Damen waren die U.S.A. die klare Nummer Eins.
Unser Herrenteam belegte in der WM-Wertung Rang 11 und in der EM-Wertung den guten 8.
Rang. Damit lagen wir ungefähr dort wo wir uns erwartet hatten. Leider fehlte und im Damenteam
die dritte Läuferin. Schade, denn da wäre ein ganz toller Rang möglich gewesen.
Beim Ertönen der nationalen Hymnen kann ich die Gedanken „meiner“ AthletInnen lesen: „Wäre
das schön, wenn wir auch einmal da oben stehen könnten.“ Naja, warum eigentlich nicht?
16:30 Uhr: Zurück im Hotel verabschieden wir uns vom Rest des Teams, welcher erst einen Tag
später heim fliegen wird. Wieder liegen 1.000 Kilometer vor uns. Viel Zeit, um über die letzten
Tage nachzudenken. Im Vergleich zu Bergamo war die Stimmung diesmal (noch) besser. Keiner
hat über irgendetwas geklagt. Das Umfeld war optimal und das kleine Team war wirklich eine
Einheit. Vielleicht auch deswegen, weil wir nur halb so viele Leute waren wie in Italien.
Die „Nacht von Flandern“ kann ich wirklich jedem Ultraläufer empfehlen. So kann ich mir durchaus
vorstellen, dass ich nach 2006 und 2009 ein weiteres Mal dieses kleine Städtchen in Belgien
heimsuchen werde. Aber dann möchte ich den 100er auch selbst in Angriff nehmen...

 

Reinhold Straßer

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