Turin aus der Sicht eines Fans (2. Tag)

Jeder erfolgreiche Tag beginnt mit Sonnenschein. Sowohl über der Stadt wie auch über der Mannschaft liegt ein Hochdruckgebiet. Die Finalaufstiege von Zeller und Pröll haben beflügelt. Selbst Martin Steinbauer bekam aus heiterem Himmel von David Monti eine Einladung zum New York-Marathon 2009. Auch Andreas Rapatz sinniert viel über seinen Lauf nach. Der Misserfolg von gestern wird der Vater des Erfolges von morgen sein.

Morgenarbeit der Sprinter
Um 9.35 Uhr ist Bettina für den 60m-Vorlauf in der Halle. Wie immer ist sie vor dem Start nervös. Mir geht es nicht besser. Bettina befreit sich und mich mit einem guten Lauf, der den Einzug ins Semifinale sicher stellt. Zum wie vielten Male schon hat sie den Vorlauf bei internationalen Wettkämpfen gemeistert? Sie ist immer eine sichere Bank. Ryan Moseley lässt sich gleich gar nicht auf Zahlenspiele ein und geht wie eine Rakete aus der Startmaschine. Lediglich Simion Williamson erweist sich als Gegner. Ryan wird in seinem Lauf Zweiter und steigt ins Semifinale auf. Im Anschluss liegt er bei Uli Lanz am Bett und lässt ein leichtes Ziehen im Bein anschauen. Ich schaue ihn auch an und bin sicher, dass Ryan auch in der Show für begnadete Körper gute Figur machen würde. Gegen ihn schaue ich wie ein Kohlensack aus.

Betriebsbereite Proportionen
Im Stadion beginnen einstweilen die Hochspringerinnen mit ihrer Qualifikation. Die meisten von ihnen bestehen aus 60 Prozent Bein und 40 Prozent Körper. Bei der Qualifikation der Männer im Kugelstoß sind die Proportionen genau umgekehrt. In der Aufwärmhalle arbeiten Wolfgang Praschesaits und Lea Gaspar im Physiobereich. „Praschi“ ist viel besucht. Seine Geschichten über die Leichtathletik reichen bis in die frühe Neuzeit zurück. Lea macht hauptsächlich Clemens Zeller betriebsbereit.

Einstweilen hat auch Roland Schwarzl seinen Siebenkampf begonnen. Nach dem ersten Bewerb liegt er an letzter Stelle. Es ist auch schwierig, die zwei Meter Körperlänge auf Sprintgeschwindigkeit zu bringen. Doch dann geht es dahin. Durch 7,59m im Weitsprung macht er acht Plätze gut. Nach dem Kugelstoß festigt sich dieser Rang.

Forza Austria!
Die Aktionen im Stadion kann man auf einer großen Videowall gut sehen. Meist werden sogar zwei Wettkämpfe parallel gezeigt. Dafür kann das Hallenpersonal kaum Englisch. Ohne italienischer Sprachkenntnisse bleiben einem nur die nonverbalen Elemente der Sprache. Auch die Shuttlebusse zwischen Unterkunft und Stadion fahren mit buddhistischem Engagement.

Im Stadion sind einige weitere Österreicher live dabei, um die Bewerbe zu verfolgen. Ich treffe Manuel Kronschläger, eines unserer großen Talente auf den Mittelstrecken. Derzeit ist er leider verletzt. Er hat die lange Reise von Grieskirchen nach Turin auf sich genommen, um für die Österreicher die Daumen zu drücken. Gemeinsam mit Christoph Lang, dem Sohn des IGLA long life-Vereins-Präsidenten, ist er angereist. Das nenne ich Treue. Manuel ist eine der großen Mittelstreckenhoffnungen.

Sprints Dur und Moll
Am Nachmittag liegen Glück und knapp verpasstes Glück eng beisammen. Bei den 60m Zwischenläufen wird die Symphonie in Dur und Moll gespielt. Vorerst scheidet Bettina als Fünfte ihres Laufes aus. Dann steigt Ryan als Vierter seines Laufes auf. Österreich wird also morgen nach langer Zeit wieder einen Finalisten über die schnellste Strecke haben.

Bei den Ansagen im Stadion hat der Sprecher Probleme. Kein Wunder, aus den Ländern östlich von Österreich gibt es viele Namen, die hauptsächlich aus Mitlauten bestehen: Spasovkhodskji, Zemaityte oder Yevdokimova. Das runde Italienisch kommt ihm jedenfalls leichter über die Zunge, was auch deutliche Präferenzen bei der Ansage seiner Landsleute erkennen lässt.

Klug gelaufen
Martin Pröll läuft im Finale über 3000m ein kluges Rennen. Er merkt bald, dass der erste Kilometer zu schnell ist und lässt nach. Martin wird in der Gruppe durchgereicht und ist dann plötzlich Letzter. Mit Abstand sogar. Doch die Taktik geht auf. Am Ende nützt er seine Kraft und holt wieder einige Plätze auf. Das Resultat lässt sich sehen. Martin Pröll beendet die Europameisterschaft als Zehnter. Und die Saison hat noch gar nicht recht begonnen.

Psychologie aus Küche und Keller
Am Ende des Tages fiebern wir alle mit Clemens Zeller mit. Selbstsicher, ja vergnügt, geht er vom Callroom zum Startraum. Leicht hat er es nicht. Die Tipps und Vorschläge, die Erwartungen und Hoffnungen umrahmen ihn. Einiges kommt dabei aus der Ecke der Küchenpsychologie. Auch die Medien bestellen sich ein Wunschkonzert mit Medaille. Clemens läuft ein tolles Rennen und holt den vierten Platz in einem hochkarätig besetzten Feld. Über die Taktik kann man lange diskutieren. Vor ein paar Monaten wäre aufgrund der Verletzungen der Lauf zum viert schnellsten Europäer noch Illusion gewesen. Für mich ist sie heute Realität geworden, und ich freue mich sehr darüber.

Am Abend kommt Roland müde, aber gut gelaunt zur Mannschaft. Schwarzl liegt nach dem ersten Tag auf gutem Kurs. Er liegt über seinen Erwartungen und gar nicht so weit von seinem österreichischen Rekord entfernt. Das wird also morgen noch ein spannender Tag werden.
 

Herbert Winkler | 7.3.2009

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