Hallen-WM in Valencia – aus der Sicht eines rotweißroten Fans

Von Bonsaigewächsen und Bodyguards, Trommelwirbeln und Finaldramatik, strahlenden und nachdenklichen Gesichtern: Lesen Sie über die Leichtathletik Hallen-WM in Valencia einmal aus anderer Perspektive – aus der Sicht eines mitgereisten österreichischen Fans.

Freitag, 6. März 2008. Als ich das riesige Hallenstadion von Valencia betrete, brodelt es bereits auf den Zuschauerrängen. Für die Athleten geht es heute darum, sich für die Zwischen- und Finalbewerbe zu qualifizieren. Das gilt auch für Bettina Müller-Weissina und Clemens Zeller. Beide steigen am ersten Wettkampftag in die Vorläufe ein. Bettina über 60, Clemens über 400 Meter.

Heißes Duell schon im Vorlauf
Auf der Laufbahn sind bereits die 3.000-m-Läufer unterwegs. Aus den Lautsprechern gibt es als Begleitung leisen Trommelwirbel. Die Starläufer vom Schwarzen Kontinent laufen um die Spitzenplätze. Äthiopien gegen Kenia heißt das Match bereits im Vorlauf. Edwin Soi schlägt Tariku Bekele (den kleinen Bruder) um eine Hundertstel Sekunde. Verrückt, wie sich die bereits beim Vorlauf ausgeben. Auch ein Libanese läuft in 10 Minuten und dreißig Sekunden neuen Landesrekord und ist darüber ganz aus dem Häuschen.

Bettina nestelt an ihrem Haarschopf
Um 12 Uhr beginnen die Vorläufe über die 60m der Frauen. Bettina Müller-Weissina ist in den dritten Heat gelost worden. Obwohl es bereits ihre dritte Hallen-Weltmeisterschaft ist, merkt man ihr die Nervosität an. Sie nestelt ständig an ihrem Haarschopf herum. Ich drücke ganz fest die Daumen. Mit ihr sind durchwegs flotte Damen am Start. Zum Beispiel Verena Sailer aus Deutschland oder die spätere WM-Fünfte Yevgeniya Polyakova aus Russland. Eine Dame hat es besonders eilig. Sie geht schon vor dem Schuss auf die Reise und produziert einen Fehlstart. Jetzt wird es heikel, denke ich. Jetzt darf Bettina nichts riskieren. Macht sie auch nicht. Ihre Reaktionszeit ist mit 0,238 Sekunden eher moderat. Doch dann trommelt sie los und ist nach 30 Meter im vorderen Drittel des Feldes. Ich stehe längst auf dem Sessel, um besser zu sehen. Bettina stürmt durchs Ziel und qualifiziert sich für das Semifinale. Großartig. Damit ist sie nach der Hallen-WM in Birmingham und Budapest zum dritten Mal aufgestiegen. In der nächsten halben Stunde ist sie der Mittelpunkt unseres kleinen österreichischen Teams.

2,27 Meter vor dem Frühstück
Während auf den Rängen die „Welle“ um das Oval geht, machen sich die Hochspringer warm. Es sind die üblichen Verdächtigen da: Rybakov, Holm, Moya, Topic. Ausgenommen dem Schweden sind die Burschen alle an die zwei Meter groß. Schlank sowieso. Mit meinen 1,83m schaue ich neben ihnen wie ein Bonsaigewächs aus. Ich habe den Eindruck, dass sie die geforderten 2,27m bereits vor dem Frühstück springen könnten.

Nach 17 Uhr ist wieder Bettina im Semifinale an der Reihe. Diesmal wirkt sie gelöst und entspannt. Sie kommt mit der zweitbesten Startzeit aus der Maschine und läuft ein engagiertes Rennen. Die Uhr bleibt bei 7,35 Sekunden stehen. Das reicht zwar nicht fürs Finale, ist aber eine neue Jahresbestzeit. Mein Sitznachbar hinter mir bittet mich, vom Sessel zu steigen. Ich umarme ihn herzlich, so froh bin ich über Bettinas Leistung.

Casting für Leibwächter
Die Vorstellung der Kugelstoßer schaut aus wie ein Casting für die Aufnahme von Leibwächtern. Schwere Männer mit Muskeln und Bärten. Betreten sie aber den Wurfkreis, mutieren sie zu wieselflinken Dynamikern. Christian Cantwell aus den USA akzeptiert keinen Stoß, der unter 20 Meter landet. Solche „verpatzten“ Würfe erklärt er für ungültig, indem er freiwillig übertritt. Er gewinnt mit 21,77 Meter vor dem grimmig dreinblickenden Reese Hoffa.

Lange bleibt er auf der Bahn sitzen ...
Einstweilen sind auch die 400m-Läufer auf der Bahn. Clemens Zeller startet im dritten Vorlauf. Er hat sich den Tag über ausgerastet. In seinem Lauf ist auch Tyler Christopher, der heuer bereits 45,80 Sekunden zu Buche stehen hat. Mir tut Clemens ein wenig leid, da er momentan ein Aushängeschild der Leichtathletik in Österreich ist und ständig große Hoffnungen in ihn gesetzt werden. Sogar im Hallenstadion hängt ein Transparent einer unbekannten Fangemeinde, auf dem er verehrt wird. Für mich ist er bereits ein Held, da er sich für die Weltmeisterschaft qualifiziert hat.

Clemens erwischt einen guten Start und zieht spurtschnell durch die erste Kurve. Dann wird er unmerklich langsamer und reiht sich am Schluss des Viererfeldes ein. Ich schreie mir den Hals heiser und feuere ihn an. Ich weiß, dass er vor allem im Schlussspurt gewaltig zulegen kann. Und er enttäuscht mich nicht. Geschickt schlüpft er die letzten 60 Meter in ein Loch auf der Innenbahn, das die Konkurrenten aufmachen und legt einen tollen Endspurt hin. Zu spät, denke ich und habe damit Recht. Zeller läuft zeitgleich mit Michael Mathieu von den Bahamas, dem Dritten seines Laufes ein. Für das Semifinale reicht es leider nicht. Lange bleibt er auf der Bahn sitzen und ist sichtlich verärgert.

Beim abschließenden 800-m-Lauf der Fünfkämpferinnen kommt es zu einer Dramatik, die kaum zu überbieten ist. Die Führende Tia Hellebaut aus Belgien gibt sich vollkommen aus, um nicht noch von der Britin Kelly Sotherton abgefangen zu werden. Sie läuft über ihre Verhältnisse, kann sich auf den letzten dreißig Metern kaum noch auf den Beinen halten und stürzt ins Ziel, wo sie minutenlang liegen bleibt. Damit rettet sie ihren Sieg und wird Weltmeisterin.

Bei den Finalläufen über die 60m gibt es zwei neue Jahresweltbestleistungen. Beide Läufe werden von dunkelhäutigen Athletinnen und Athleten dominiert. Mir persönlich imponiert aber auch der 800m-Läufer Hilti aus Liechtenstein, der die Distanz 1:59,91 läuft und Letzter wird.

Beim Abendessen finde ich eine strahlende Bettina und einen nachdenklichen Clemens vor. Ich selbst bin mit beiden sehr zufrieden. Aus den Niederungen des Dusikastadions kommend, haben sie sich auf dem Hochplateau von Valencia bestens bewährt. Jetzt lockt Peking.
Herbert Winkler | 9.3.2008

BugReport senden | Programming by Stefan Walkner 2006 | Design by RK | Impressum